Schön schräg das alles - FALTER.maily #297

Lisa Kiss
Versendet am 20.08.2020

haben Sie seit den Lockerungen im Kulturbereich eine Veranstaltung besucht? Ich war erst kürzlich mit einer Freunding bei einer Vorstellung im Garten des Palais Liechtenstein. Corona-konform versteht sich. Ganz brav mit Mund-Nasen-Schutz geschmückt standen wir mit dem richtigen Abstand zu den anderen Besucherinnen und Besuchern in der Schlange vor einem kleinen Tischchen, wo die Tickets kontrolliert wurden. Jede bekam ein Armbändchen sowie ein Datenblatt und wurde danach zum nächsten Tisch gebeten. Dort füllten wir mit einem der reichlich vorhandenen Kugelschreiber das Datenblatt aus und warfen den Kugelschreiber anschließend in eine Schachtel mit der Aufschrift "Kugelschreiber werden desinfiziert" und brachten den ausgefüllten Zettel zur nächsten Station. Nun deutete eine freundliche junge Frau auf einen Lageplan der im Garten verteilten Sitzplätze und fragte nach dem Wunschplatz. Einmal ausgesucht, vermerkte sie die Nummer des Sitzplatzes auf unseren Datenblättern und steckte sie in eine kleine Schachtel. Die Zettel werden in 28 Tagen vernichten, die Daten nicht weiter erfasst, versicherte sie auf Nachfrage. Endlich konnten wir den Zuschauerbereich betreten, wo sogleich eine Platzanweiserin zu uns eilte, um uns zu den richtigen Plätzen zu leiten. Ganz schön schräg und unwirklich das alles.

Die Stimmung im Garten war locker und entspannt. Kaum hatte sich meine Freundin eine Zigarette angezündet, schlenderte zielsicher einer der später auf der Bühne auftretenden Kabarettisten auf uns zu und bat um Feuer. Nach einem zugegeben floskelhaften "Wie geht's denn so?" antwortete er: "Hoffen wir, dass das Wetter hält", und deutete auf die dunklen Wolken, die bereits über dem Hof zu sehen war. Sein Blick und sein besorgter Tonfall verrieten aber, dass er nicht nur das Wetter meinte. "Jetzt geht es ja noch, ich habe Auftritte und andere Einkünfte, trotzdem mach ich mir schon Sorgen. Aber, es geht mir nicht um mich oder um die anderen arrivierten Kolleginnen und Kollegen, die werden es schon schaffen. Es sind die jungen, noch unbekannten Künstler, die jetzt keine Auftritte bekommen. Die sind echt arm. Es muss doch auch was nachwachsen, es wird ja sonst fad."

Nun, der Abend war nicht fad, schließlich ging es um das Thema "Rausch". Launig-kabarettistische Doppelconference im ersten Teil, modernes Wienerlied nach der Pause. Und über allem die dunklen Wolken des kommenden Covid-19-Herbstes.

Na dann,

Ihre Lisa Kiss


Aus Dem Falter

Nicht nur der Kulturbetrieb bangt dem Herbst entgegen – auch der Bildungssektor steht vor großen Herausforderungen. Dass Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) und seine Gurgelkinder in einer Pressekonferenz die Rückkehr zur Schule wie früher ankündigten, empfindet Falter-Chefreporterin Nina Horaczek als gefährliche Drohung: "Wenn Politik ein Land in den Dornröschenschlaf versetzen kann, könnte es doch bitte auch möglich sein, unser Bildungssystem zu modernisieren und gerechter zu machen", schreibt sie im aktuellen Falter.


Buchtipp

Schule gerechter zu machen, ist auch die zentrale Forderung in Melisa Erkurts Buch "Generation Haram", dessen dritte Auflage bereits unglaubliche zwei Tage nach Erscheinungstermin in Auftrag gegeben wurde. Das Buch ist ein kraftvolles Plädoyer für Chancengleichheit für Kinder aus bildungsfernen Schichten mit Migrationshintergrund und für ein Schulsystem, das sich nicht nur an privilegierten Kindern orientiert. Warum auch digitale Kompetenzen vom sozioökonomischen Hintergrund des Elternhauses abhängen, lesen Sie in Erkurts aktueller Falter-Kolumne "Digitale Loser brauchen mehr als ein Tablet".  


Hörtipp

Viel beklatscht und schnell vergessen? Im aktuellen Falter-Podcast hören Sie, wie Migrantinnen und Migranten in der Corona-Krise unser System erhalten. Zu hören sind Marina Todorovic (Caritas), Marina Habiby (Diakonie), Hadya Nassan-Agha-Schroll (Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutin), Firas Saedaddin (Coach und Unternehmer) und Omar Khir Alanam (Autor von "Danke. Wie Österreich meine Heimat wurde").


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