Wie sich die Justiz vor der Presse schützt - FALTER.maily #1046
14 Jahre ist es nun schon her, dass mir ein Informant einen großen Billa-Sack mit Dokumenten aus der Weisungsabteilung des Justizministeriums ...
dieses Land verspricht Verheißung: an der Mündung des fruchtbaren südamerikanischen Río Negro gelegen, mit mildem Klima, silbrigen Bodenschätzen und freundlichen Menschen. Palmen säumen die breiten Boulevards der Hauptstadt Saint Joseph. Eine Kathedrale und ein Opernhaus sorgen für Erbauung und Vergnügen. Regiert wird das Land von einem Fürsten, dem Kazike. Der souveräne Staat zahlt sechs Prozent Zinsen auf eine 30-jährige Anleihe, man kann Parzellen urbar gemachter Äcker kaufen. Die Chance eines Lebens: Poyais.
1822 bricht gar ein Schiff mit Siedlern auf, die hoffen, dort ein besseres Leben zu finden.
Die Sache ist nur, Poyais existiert nicht. Hat es nie. Ein schottischer Abenteurer hat das Land im 19. Jahrhundert erfunden, die Millionen der Investoren hat er in die eigenen Manteltaschen gesteckt. Gregor McGregor ist der Hochstapler unter den Hochstaplern. Die meisten Siedler sterben in einem malariaversuchten Drecksloch.
Der damalige Zeitgeist hat Poyais möglich gemacht. Mit europäischen Schuldscheinen war im angebrochenen 19. Jahrhundert kein Geld mehr zu machen, aber in Lateinamerika sagten sich die Völker von den Kolonialherrschern los, gründeten eigene Staaten und brauchten Cash für den Aufbau. Venezuela, Groß-Kolumbien, Peru: Die Investoren erhielten großzügige Zinsen. Die Bonanza begann, das Versprechen einer neuen Welt wartete. Gregor McGregor sprang darauf auf. Und viele machten mit.
Verrückt, zweifelsohne. Aber ist es heute wirklich so viel anders? Welcher Zeitgeist hat die Luftgeschäfte von Wirecard jahrelang übersehen? Welcher an die stets unglaublichen Wachstumszahlen geglaubt? Warum haben Anleger das alles den Wirecard-Managern in der engen, dunklen, maßgeschneiderten Nerd-Uniform so lange abgekauft?
Wirecard ist der Skandal der Stunde: Die Story mit dem bargeldlosen Zahlen hat einfach zu gut in eine Welt gepasst, die sich zusehends mit der virtuellen vermischt. Den digitalen Vorreiter aus den eigenen Reihen, das wollte sich Europa zudem nicht nehmen lassen.
Welche Stimmung aber hat die Malversationen in der Commerzialbank in Mattersburg übertüncht? Warum beließen Unternehmen, Gemeinden, gemeine Österreicher ihr Geld auf deren Konten?
Die Commerzialbank in Mattersburg hatte keine Vision der Zukunft. Digitale Aura hatte sie noch weniger: Bankchef Martin Pucher im verbeulten Sakko hat Kredite mit der Hand abgearbeitet. Ihn unterschied von den anderen nur der hohe Zinssatz, den er zu zahlen versprach. Was uns zur Frage bringt, was Mattersburg über den Zeitgeist in Österreich aussagt.
Ich wünsche Ihnen einen fabelhaften Tag,
Ihre Eva Konzett
Projekt Panther: Wie die Wirecard-Manager versucht haben, die Deutsche Bank zu kaufen, um die eigenen fehlenden 1,9 Milliarden US-Dollar in deren Bilanzen versenken zu können. Die Financial Times hat einen sehr lesenswerten Artikel dazu gemacht ($). Was in Österreich Aufsichtsräte mit Gartenpartys gemein haben, lesen Sie hier.
Für eine kinematographische Übersetzung des wahnwitzigen Luftschlossbauens im Bankensektor empfehlen wir die Filme "Let's make money" von Erwin Wagenhofer und "The Woolf of Wallstreet" von Martin Scorsese. Wiewohl beide Filme schon einige Jahre alt sind, haben sie nichts von ihrer psychologischen Analyseschärfe eingebüßt. Für einen weiteren Hochstapler aus der echten Welt, können Sie die Lebensgeschichte von Victor Lustig nachlesen, der 1925 den Eiffelturm an einen Schrotthändler verkaufte und sich danach nach Wien absetzte.
Schneller, Höher, Weiter. Das Wachstumsparadigma gerät in Krisenzeiten – von Finanz- bis Klimakrise- unter Druck. So auch in der Corona-Pandemie: "Wir müssen lernen zu mutieren, so wie es das Virus auch tut", schreibt Harry Bergmann in seiner FALTER-Kolumne Loge 17. Ansonsten dürfte nach der aktuellen Krise nicht viel übrig bleiben von der vielgepriesenen neuen Solidarität und Entschleunigung.