It's the bribery, stupid! - FALTER.maily #1055
Ich würde meinen, wir müssen die Geschichte über Sebastian Kurz fabelhaften Aufstieg zum ÖVP-Chef und Kanzler grundsätzlich ...
What would Camillo Sitte say?, fragt man sich. Was hätte der österreichische Architekt und Stadtplanungsguru des 19. Jahrhunderts wohl zum neuen Reumannplatz gesagt? Hätte er Gnade walten lassen? Schließlich widersprach der 2,3 Hektar große Platz des bevölkerungsreichsten Bezirks der Stadt seit seiner Entstehung 1872 so ziemlich allen Regeln, die Camillo Sitte 17 Jahre später wie zum Trotz in seinem Werk "Der Städtebau" für den perfekten Platz aufgestellt hatte: geometrisch, von Gebäuden eingefasst, mit freier Mitte und – so lautete sein Gebot – auf keinen Fall dreieckig. Der Reumannplatz ist aber genau das alles nicht: Er ist ein von Straßen umschlossenes Dreieck, durchschnitten von Straßenbahnschienen, dessen nicht fühlbare Mitte mit Stationsverschlägen verstellt waren. Also die Antithese zu all dem, was nach mitteleuropäischen Vorstellungen einen schönen Platz ausmachen sollte.
Vergangenen Herbst krempelte sich die Stadt die Ärmel auf und gestaltete den Reumannplatz neu. Nun ist man im Endspurt. An der "1. Mädchenbühne", einem Projekt der "Agendagruppe Favoriten für Mädchen, Mädchen für Favoriten", das jungen Frauen mehr Platz und Sichtbarkeit im öffentlichen Raum geben soll, zangelten am gestrigen Nachmittag noch drei Bauarbeiter herum. Der Rest sieht – abgesehen vom geplanten Café, das in einem ehemaligen Gebäude der Wiener Linien, vulgo Stationsverschlagsrest entstehen soll – ziemlich fertig aus.
Nun bedeutet eine Neugestaltung des öffentlichen Raumes nicht automatisch dessen Veredelung, das hat die Stadt schon mancherorts bewiesen und auch die Umgestaltung des Reumannplatzes sorgte vorab für jede Menge Ärger. Genauer gesagt, ein von einigen ansässigen Unternehmen angedachter Gastro-Pavillon, der von einer Gruppe von Anrainern als "Prosecco-Zone" abgelehnt wurde. Favoritens roter Bezirksvorsteher Marcus Franz träumte von einem hippen Lokal ähnlich dem Heuer am Karlsplatz, das schickeres Publikum auf den Platz locken sollte. Die besorgten Anrainerinnen und Anrainer befürchteten, dass es dadurch zu Verdrängung kommen würde auf diesem Platz, der so vieles gleichzeitig ist: Kinderspielplatz und Treffpunkt für Mütter und Pensionisten, Tichy-Eisschlecker, Grätzel-Wohnzimmer, Abhängzone für Jugendliche und Aufenthaltsraum vieler Obdachloser und anderer Gestrandeter.
Ein erster Eindruck des rund 7,9 Millionen Euro teuren Projekts: Selten war ein Plus von 13 Prozent Grünflächen so unauffällig. Das mag vielleicht daran liegen, das sämtliches Neugrün von klobigen Betonsockeln eingefasst ist und die – mit allerlei stylischen Gräsern, Blumen, 78.300 Stauden und 109 Bäumen bepflanzten – Rabatte großflächig geschottert sind. Von Verdrängung aber keine Spur: die Kinder haben bereits die neuen Trampoline erobert, Pensionisten beturnen Sportgeräte und alle anderen, die Mütter und Pensionisten, die Tichy-Eisschlecker und Jugendlichen, die Obdachlosen und Verlorenen, sie sind auch noch alle da.
Ein schöner Platz nach der von Sitte geprägten Ästhetik ist der Reumannplatz immer noch nicht. Will er vielleicht auch gar nicht sein. Als eine Bühne fürs Sehen und Gesehenwerden funktioniert er und vielleicht ist der Reumannplatz einer jener Orte, die erst durch ihre Benutzung auf magische Weise schön werden.
Aber machen Sie sich selbst ein Bild!
Ihre Birgit Wittstock
Sollten Sie die Diskussion über die Neugestaltung des Reumannplatzes verpasst haben, können Sie meinen Streifzug durch das wachsende und sich verändernde Favoriten hier nachlesen.
Und wenn Sie nun wehmütig an das alte Favoriten der 90er-Jahre denken, dann verhilft Ihnen Elisabeth Spiras Alltagsgeschichte über die Desperados vom 10. Hieb zu einem richtig intensiven Nostalgie- Flashback.
Im aktuellen FALTER-Podcast dreht sich alles um die anstehende Wienwahl. Dafür hat das Moderationsteam, bestehend aus Raimund Löw und Eva Konzett, eine bunte Politikerinnentruppe zum Gespräch gebeten. Es diskutieren Mireille Ngosso (SPÖ), Laura Sachslehner (ÖVP), Judith Pühringer (Grüne), Selma Arapović (Neos) und Anna Svec (LINKS). Die Wahlkampfstimmung ist spürbar, hören Sie rein!