Coronaküche - FALTER.maily #323

Stefanie Panzenböck
Versendet am 19.09.2020

die Angst war berechtigt. Das, wovor sich jeder Kulturbetrieb fürchtete, ist eingetreten: In einem Wiener Theater wurde ein Corona-Cluster lokalisiert. Einige Tage lang lagen die Nerven blank. Auch, weil von prominenter Stelle Gerüchte medial verbreitet wurden.

Was war passiert? Als die Regierung am 4. September die Corona-Ampel präsentierte, war Wien auf Gelb geschaltet. Doch Ferdinand Urbach, Geschäftsführer des Theaters in der Gumpendorferstraße (TAG) beschloss: "Unser Theater wird orange." Er setzte die Corona-Bestimmungen besonders streng um: Die Besucherinnen und Besucher waren dazu angehalten, den Mund-Nasen-Schutz auch am Platz zu tragen, man saß nach Schachbrettmuster angeordnet, die erste Reihe wurde ganz entfernt, es gab weder Pausen noch Buffett.

Am Sonntag, es war der 6. September, fand im TAG eine Aufführung der Operette "Die lustige Witwe" statt. Das TAG hatte seine Räumlichkeiten dafür an die Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien (MUK) vermietet, die sich ebenfalls an die strikten Vorgaben hielt. Um 22:30 läutete das Handy des Regisseurs. Eine an der Produktion beteiligte Person war über ihr Covid-19-Testergebnis informiert worden, es war positiv ausgefallen. Der Regisseur gab die Nachricht an Urbach weiter, die MUK, die zum selben Zeitpunkt verständigt worden war, leitete alle behördlichen Schritte ein. Als kleines Glück im Unglück erwies sich, dass das Publikum ausschließlich aus den Freundes- und Familienkreisen der Künstlerinnen und Künstler bestand, sodass das Contact Tracing schnell abgehandelt und der Cluster abgegrenzt werden konnte. Nicht nur Urbach, sondern auch der Krisenstab der Stadt Wien geht davon aus, dass während der Vorstellung alle Regeln eingehalten wurden. "Zur Übertragung des Virus ist es wahrscheinlich davor und danach, aber nicht während der Aufführung gekommen", sagte der Sprecher des Krisenstabs, Andreas Huber, der APA.

Eine weitere Folge der Cluster-Ausforschung war sodann, dass an der Staatsoper zwei Umbesetzungen vorgenommen werden mussten. Direktor Bogdan Roščić, der bei der Aufführung selbst nicht dabei gewesen war, sagte zur APA: „Besucherinnen und Besucher berichten unter anderem von Tanzszenen im Zuschauerraum, also einer Vermischung zwischen Bühne und öffentlichem Bereich, die eigentlich undenkbar sein sollte. Falls diese Berichte wahr sind, handelt es sich um eine schockierende Verantwortungslosigkeit."

Das entspreche nicht der Wahrheit, sagt Ferdinand Urbach vom TAG. Es habe, laut MUK, lediglich einen zügigen Auftritt von vier Tänzerinnen durch den Mittelgang gegeben. "Hätte ich davon gewusst, hätte ich gesagt, macht es nicht", sagt Urbach. In Zukunft werde er sich aber stärker in das künstlerische Konzept seiner Mieter und Mieterinnen einmischen. Empört ist er aber in erster Linie über den Staatsopern-Chef. "Er mag ein toller Manager sein, aber kollegial war das nicht", sagt Urbach. "Er hätte, bevor er so einen Verdacht äußert, bei uns anrufen können. Das hätte ich mir gewünscht." Das "Täter-Oper-Spiel über die Medien" sei kontraproduktiv gewesen.

Die Saison für das TAG hat denkbar schlecht begonnen. Nun kommt das Chaos um die Ampel hinzu. Maßnahmen, die festgelegt worden waren, gelten nun doch nicht. Das mag im Einzelfall auch ein Vorteil sein. Im Prinzip schafft es vor allem Unklarheit.

Die große Frage, wie der Veranstaltungsbetrieb ab Herbst funktionieren wird, hat ihre ersten Antworten gefunden: Es wird schwierig. Die Ampel ist keine große Hilfe. Umsicht, Vernunft und Ruhe müssen die Grundlage jeglichen Handelns sein. Einen kühlen Kopf und ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Ihre Stefanie Panzenböck


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Hinweis

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