Finden Sie, dass J. K. Rowling sich richtig verhält? - FALTER.maily #325

Klaus Nüchtern
Versendet am 22.09.2020

bis vor Kurzem war Joanne K. Rowling noch Mitglied des Celebrity Cool Club – jener Gemeinschaft von Zelebritäten, die vielfach verehrt werden und gegen die niemand wirklich was hat. Leute wie Mutter Theresa oder Homer Simpson halt. Dann aber reagierte Rowling im Juni auf einen Artikel über Monatshygieneartikel, in dem die Formulierung "people who menstruate" vorkam, mit folgendem Tweet: "I’m sure there used to be a word for those people. Someone help me out. Wumben? Wimpund? Woomud?"

Das amüsante Wortspiel wäre vor nicht allzu langer Zeit noch als astreiner feministischer Witz durchgegangen: Frau = Mensch mit Menstruationshintergrund. In Zeiten einer zusehends paranoiden Identitätspolitik aber geht das nicht mehr durch. In der LGBTQ-Community zeigte man sich "not amused" und mutmaßte, Rowling sei der Unterschied zwischen Sex und Gender, also jenen Kategorien, die gemeinhin als "biologisches" und "soziales" Geschlecht beschrieben werden, nicht geläufig. Diagnose: "akute Transphobie".

Nun hat die Autorin unter dem Pseudonym Robert Galbraith den fast tausend Seiten starken Krimi "Böses Blut" (Original: "Troubled Blood") veröffentlicht, den ich nicht gelesen habe und nicht lesen werde, der Rowlings Kritikerinnen und Kritikern aber einen Anlass geboten hat, die alten Vorwürfe erneut zu erheben. So mochte es etwa Titania McGrath, die in einem ziemlich witzigen und politisch alles andere als korrekten Stand Up-Auftritt die identitätspolitische Verbiesterung durch den Kakao zieht, nicht fassen „that JK Rowling has written a novel which implies that trans people can be villains".

Hier befinden wir uns auf jenem heiklen Terrain, das die US-Historikerin Joan Wallach Scott mit dem Begriff des "feministischen Paradoxes" beschrieben hat: Das egalitäre Ansinnen, die Geschlechterdifferenz (demokratie-)politisch "abzuschaffen", nötigt immer wieder zum Rückgriff auf jene Kategorie, die eigentlich keine Rolle mehr spielen sollte. Der Essentialismus, den man verabschieden wollte, kommt verlässlich durch die Hintertür wieder herein, worauf auch Slavoj Zizek hingewiesen hat: Wenn es stimmt, dass Genderidentitäten "fluid" und "ein Konstrukt" sind, dann kann auch niemand "immer schon im falschen Körper gesteckt" haben (so ein geläufiges Trans-Narrativ).

Die Dämonisierung von Transpersonen, wie man sie aus Filmen wie "Psycho" (1960), "Dressed to Kill" (1980) oder "The Silence of the Lambs" (1991) kennt, belegt einen transphoben Affekt, der sich nicht korrigieren lässt, indem man den Essentialismus beibehält und bloß das Vorzeichen ändert. Transpersonen sind mitunter auch miese Köche oder schlecht im Tischtennis und durchaus nicht außerstande, Mitmenschen schlimme Dinge anzutun. Wir alle sind dazu fähig. Das ist keine erfreuliche Erkenntnis, aber sie wach- und auszuhalten – die austro-amerikanische Psychoanalytikerin Else Frenkel-Brunswik nannte es "Ambiguitätstoleranz" –, ist eine wichtige Voraussetzung dafür, Konflikte auf zivilisierte Art und Weise zu regeln.

Einen Shitstorm zu entfesseln, verschafft einem zwar das befriedigende Gefühl moralischer Überlegenheit, wird die oder den auf diese Weise Beschämten aber eher in den Starrsinn treiben als zur Einsicht verhelfen, Unfug geschwatzt oder ein Unrecht begangen zu haben. Schon aus pädagogischer List heraus ist einem dezenten "Ich glaube, du hast dich da verrannt" der Vorzug gegenüber dem aggressiv identifizierenden "Wir wissen genau, was für eine/r du bist!" zu geben, das in den Kanälen der asozialen Medien endlos widerhallt. Denn wahrlich, ich sage Euch: Edel und großmütig handelt, wer anderen dabei hilft, ein Stückchen edler und großmütiger zu werden. Gehet hin in Frieden,

Ihr Klaus Nüchtern


Lesetipp

Wenn Jugendliche sich mit "Du Opfer!" dissen, ist das nicht nett, aber auch Symptom eines intakten Instinkts: Es ist nicht wünschenswert, ein Opfer zu sein. Die moralische Nobilitierung des Opfers ist, so macht der italienische Literaturwissenschaftler Daniele Giglioli in seinem klugen Büchlein "Die Opferfalle" (2016, Matthes & Seitz) klar, eine Sackgasse, die zur Selbstentmächtigung und in die politische Verantwortungslosigkeit führt.


Zum Schaün

Apropos Joanne K Rowling: Wer mit den "Harry Potter"-Filmen vertraut ist, wird in der grandiosen BBC-Serie "Happy Valley", von der bisher zwei Staffeln vorliegen, auf bekannte Gesichter treffen: jenem von Shirley Henderson (Maulende Myrte) und Matthew Lewis (Neville Longbottom). Bis in die kleinsten Nebenrollen exzellent besetzt, überzeugt die in einer Kleinstadt in Yorkshire angesiedelte und von Sally Wainwright (Drehbuch, Regie, Produktion!) verantwortete Krimi-Serie um die Polizistin Sgt. Catherine Cawood (großartig: Sarah Lancashire) durch einen packenden Plot, überzeugende Charaktere und einen grimmigen Realismus, der viel Raum für Empathie lässt – selbst mit Tätern. Kurz und gut: Eine Serie für all jene, denen die forcierte finstere Flamboyanz der jüngsten Staffeln von "Luther" schon too much war.


Noch Ein Videotipp

Die Mutter aller britischen Polizei-Serien ist natürlich "Prime Suspect", von der zwischen 1991 und 2006 sieben Staffeln gedreht wurden und in der die unübertreffliche Helen Mirren in der Rolle von DCI Jane Tennison den Zuseherinnen und Zusehern einiges an Ambiguitätstoleranz abverlangt.


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