Der hungrige Student - FALTER.maily #329

Anna Goldenberg
Versendet am 26.09.2020

Ramiro Wong ist hungrig. Seit 16. September ist der 33-jährige Peruaner im Hungerstreik – weil für sein Studium an der Universität für angewandte Kunst mit dem Wintersemester erstmals Studiengebühren fällig werden. Zuvor war er ausgenommen.

Studiengebühren sind ein ewiges Streitthema. 1970 wurde Studieren gratis, ab 2001 kostete es wieder, sieben Jahre später wurden die Gebühren abgeschafft – allerdings mit einigen Ausnahmen. Studierende aus Nicht-EU-Staaten müssen beispielsweise zahlen, und zwar 726,72 Euro pro Semester. "Ich find es durchaus legitim, dass jemand, der noch keinen finanziellen Beitrag zur Universitätsfinanzierung geleistet hat – etwa über die Steuern der Eltern – so einen Beitrag, der bei weitem nicht kostendeckend ist, zahlt", sagt Wissenschaftsminister Heinz Fassmann. Im Vergleich zu anderen EU-Staaten enorm günstig, ist das für Menschen aus ärmeren Regionen viel Geld.

Weshalb es eine Ausnahme von der Ausnahme gibt: Studierende aus Ländern, die von der OECD als benachteiligt eingestuft werden, zahlen nichts. Das Bildungsministerium führte eine solche Liste, die Länder in drei "Einkommensstufen" einteilte. Die Gebühren für Studierende aus den am wenigsten entwickelten Staaten wie Südsudan und Kambodscha wurden den Unis vom Bund zurückerstattet. Manche Unis, wie auch die Angewandte, befreiten auch Studentinnen und Studenten aus den anderen Einkommensstufen.

Vor rund einem Jahr änderte das Bildungsministerium die Länderliste. Statt drei Stufen gab es nur mehr eine. Darin waren nur noch die am wenigsten entwickelten Staaten enthalten. Die aufwändigen Aktualisierungen der Listen erwiesen sich als "praktisch nicht zweckmäßig durchführbar", heißt es in einem Schreiben des Ministeriums. 

Den Universitäten fehlte nun die rechtliche Basis, Studierende aus Ländern wie Peru oder Iran, die nicht zu den am wenigsten entwickelten Staaten gehören, von Studiengebühren zu befreien. An der Angewandten betrifft das rund 15 Prozent der Studierenden. Dort entschied man sich, die Gebühren für das Sommersemester 2020 einzufrieren. Danach wollte man im April die Studierenden informieren, dass im Herbst Gebühren drohten, doch: "Die Aussendung ist im Corona-Trubel untergegangen", sagt Bernhard Kernegger, Vizerektor für Lehre und Entwicklung. Weshalb Ramiro Wong im September von einer Zahlungsaufforderung überrascht wurde.

Die Angewandte hat mittlerweile eine Lösung gefunden: Studierende wie Ramiro Wong zahlen ab dem nächsten Semester 363,63 Euro, also nur halb so viel, wie für Drittstaatsangehörige normalerweise fällig wird. Der Preisunterschied mache nämlich die Staatskasse nicht voll, meint Vizerektor Kernegger. Ramiro Wong fühlt sich hingegen als "Mensch zweiter Klasse" behandelt. Und will seinen Hungerstreik deshalb bis 4. Oktober fortsetzen. Vielleicht ist das ganze ja auch eine künstlerische Intervention.

Ein schönes Wochenende wünscht

Ihre Anna Goldenberg


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