Erneuerung - FALTER.maily #331

Stefanie Panzenböck
Versendet am 29.09.2020

während der Kunst- und Kulturbetrieb versucht, den Wettlauf gegen das Virus zu gewinnen, unterzieht sich das Wiener Volkstheater einer grundlegenden Erneuerung. Spaziert man die Burggasse hinunter Richtung Ring, wird man von einer strahlend weißen Fassade überwältigt, ganz so als ob das 1889 eröffnete Haus seine neue Bestimmung in Zahnpastawerbung gefunden hätte. Im Inneren beherrscht die Baustelle die Bühne. Kabel hängen von der Decke, Arbeiter bohren, hämmern und spachteln, tragen schwere Bretter durch das Haus. Auf der Zuschauertribüne ist noch jeder einzelne Sitzplatz in Plastikfolie eingepackt. Anfang Jänner will Direktor Kay Voges seine erste Spielzeit eröffnen.

Die Sanierung ist nur einer der Schritte bei der Neugestaltung des Hauses, die sich über die letzten Jahre immer wieder verschoben hatte. Als die ehemalige Leiterin Anna Badora im Juni 2018 bekannt gab, ihren Vertrag über 2020 hinaus nicht verlängern zu wollen, ergriff die damals gerade sechs Wochen im Amt befindliche Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) die Chance, dem Volkstheater auch gleich ein neues Profil zu verpassen.

Aber was erwarteten die Wienerinnen und Wiener von ihrem Volkstheater? Kaup-Hasler fragte nach und traf sich über Monate im Café Eiles mit Interessierten, die mitreden wollten. 72 Bewerbungen trudelten schließlich ein, doch dann wurde der Prozess abgebrochen. Das Budget sei zu niedrig, mahnte die Jury. Eine Neuausrichtung sei mit dem vorhandenen Geld - 12,3 Millionen Euro an Subventionen plus 2,6 Millionen, etwa aus Ticketerlösen - nicht möglich.

Auch diese Entscheidung war Kaup-Hasler nicht unangenehm. Sie wollte schon lange, gemeinsam mit dem Bund, die öffentliche Förderung für das Volkstheater erhöhen. Doch sie wartete nicht, wie sonst üblich in solchen Fällen, auf die Zusage des Kulturministers. Die Stadt Wien beschloss, dem Volkstheater zwei Millionen Euro mehr zur Verfügung zu stellen. Ob der Bund eine zusätzliche Million drauflegt, ist noch offen.

Bezüglich der Sanierungskosten waren sie sich schon einig geworden: Zwölf Millionen Euro kamen von der Stadt, genauso viel vom Bund. Wie vergangenen Freitag bekannt wurde, übernimmt der Bund nun auch bei der Organisation des Volkstheaters mehr Verantwortung.

Der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB), der bis zur Gründung der Privatstiftung im Jahr 1999 Eigentümer des Hauses war, zieht sich ganz zurück. Dafür rücken in den entscheidenden Gremien vom Bund bestellte Personen nach. Dazu gehört etwa der ehemalige kaufmännische Direktor des Burgtheaters, Thomas Königstorfer, im Aufsichtsrat.

Kay Voges, ehemaliger Intendant des Schauspiel Dortmund, war übrigens nicht einer der 72, die sich um den Job beworben hatten. Er wurde, recht spät, gebeten, sein Dossier einzuschicken. Anfang Juni 2019 bestellte ihn die Jury zum künstlerischen Direktor. Seine digital-theatralen Experimente lassen auf frischen Wind hoffen. Seinen Spielplan will er Anfang November präsentieren.

International besetzte Produktionen muss er ausfallen lassen, Corona hat auch das Volkstheater fest im Griff. Bis Jänner kann Voges die Strategie der Politik und der anderen Häuser studieren. Wien hat hohe Erwartungen an ihn. Er hat aber auch nicht die schlechtesten Voraussetzungen, sie erfüllen zu können. Eine schöne Woche wünscht Ihnen

Ihre Stefanie Panzenböck


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