Sorry, Sora! - FALTER.maily #1201
Ich hoffe, meine Mail geht an den richtigen Verteiler. Weil - Sie haben es heute vielleicht mitbekommen und wenn nicht, erzähle ich es Ihnen ...
am 23. Oktober 1996 steckte Heinz-Christian Strache beim Modenapark in Wien-Landstraße das Staubsaugerkabel in die Steckdose und saugt das FPÖ-Parteilokal vor dem Wahlabend noch einmal durch. Dann stapelt er fünfzig Schnitzel, fünfzig Fleischlaberl, fünfzig Scheiben Schweinsbraten sowie Kaffee und Kuchen aufs Buffet. Am Abend wird schließlich gefeiert. Seine Gemeindebau-Touren, bei denen er akribisch die "fremdländischen Namen" im Sozialbau notierte, haben sich rentiert.
Im damaligen Wahlkampf hatte die FPÖ die Bewohner im Bezirk mit Postwurfsendungen darauf aufmerksam gemacht, wie viele vermeintliche Ausländer im Gemeindebau wohnen. Strache, damals gerade erst 27 Jahre alt, hatte somit sein erstes Gemeinderatsmandat. "Wien darf nicht Woodstock werden", lautete der Slogan, mit dem es der Neo-Gemeinderat im Dezember 1996 erstmals in die Zeitung schaffte.
Ziemlich genau 24 Jahre später endet Straches Karriere dort, wo sie angefangen hat – vorerst zumindest. Mit nur etwa 3.6 Prozent scheitert der Adabei von Ibiza am Einzug in den Wiener Landtag. Im Abgang hält Strache auch gleich seinen Ex-Parteifreunden die Tür aus dem Gemeinderatssaal auf. Es ist ein ziemlich ungewöhnlicher Haufen, der nun als Spätfolge von Ibiza und Co. aus dem Rathaus purzelt.
Da ist zum Beispiel Nikolaus Amhof, ein Strache-Freund aus Jugendtagen. Er war schon 1996 einmal im Gemeinderat. Damals hielt er zur Geisterstunde eine Rede vor den Abgeordneten, in der er Ausländern die Schuld an der Umweltverschmutzung gab. Denn für Migranten müsse Grünraum in Wohnraum verwandelt werden.
Oder Martin Hobek, der in den 1990er Jahren mit der Fotokamera bewaffnet linke Demos ablichtete, jahrelang in den rechtsextremen Zeitschriften Aula und Eckhardbote schrieb und später als freiheitlicher Referent für Integration die blaue "Beobachtungsstelle Inländerdiskriminierung" leitete.
Sie und wahrscheinlich 24 andere FPÖ-Abgeordnete verlieren mit der Wienwahl ihre Mandate. Wer bleibt? Der Burschenschafter Maximilian Krauss zum Beispiel, der in der Vergangenheit eigene Schulklassen für Ausländerkinder forderte und Zuwanderer "mit türkischem Blut" in ihre alte Heimat zurückschicken möchte. Die FPÖ ist mit dieser Wahl viel kleiner geworden. Aber sicher nicht weniger radikal.
Ihre Nina Horaczek
Lieber Hansi Orsolic, es tut mir leid, aber das ist schon sehr, sehr lustig: So verabschiedet sich Twitter von Heinz-Christian Strache.
Auch im Podcast von Florian Scheuba geht es diesmal um Strache. Der Satiriker hat nämlich eine bahnbrechende Erklärung, warum es für den Ex-FPÖ Frontman bei der Wien-Wahl nicht geklappt hat. Mit seinem Gast Michael Niavarani bespricht der dann auch noch, wie froh der Besuch einer Kabarettveranstaltung dieser Tage machen kann.
Gleich zwei Nummer 1-Hits bescherte uns Strache während seiner Zeit als Vizekanzlers. Nachdem der Austropopper Wolfgang Ambros in der Süddeutschen Zeitung sagte, es gebe viele "braune Haufen" in der FPÖ siehe, schimpften die Freiheitlichen ihn einen "abgehalfterten Musiker". Zur Verteidigung von "Wolferl" Ambros wählten die Österreicher im brütend heißen Hochsommer 2018 "Skifoan" auf Platz 1 der Charts.
Auch die Vengaboys konnten sich freuen. Sie traten Dank Strache im Mai 2019 auf dem Wiener Ballhausplatz auf und katapultierten ihre Ibiza-Hymne in die Austro-Charts.
Etwa 300.000 Nichtwähler gab es bei der Wienwahl. Der letzte Demokratiemonitor 2019 ergab, dass von jenen Österreichern, die zum ökonomisch stärksten Drittel des Landes zählen, bei der Nationalratswahl nur 17 Prozent nicht wählen gingen. Von jenen aus dem ökonomisch schwächsten Drittel waren es hingegen 41 Prozent.
Die Kluft zwischen Arm und Reich bei Wahlen lässt sich auch lokal verorten. Bei der Nationalratswahl 2019 lag die Wahlbeteiligung in den Arbeiterbezirken Favoriten und Simmering bei nur etwa 64,7 Prozent, in den reichen Bezirken Josefstadt mit 80,4 beziehungsweise Neubau mit 78,3 Prozent viel höher. Eine spannende Studie zu Langzeitarbeitslosen, die nicht wählen, führten deutsche Soziologen durch. Die Motive für das Nichtwählen lauteten: Fehlendes Vertrauen in die Politik, Verlust des Glaubens in die Regeln der Demokratie und das Gefühl als Langzeitarbeitsloser Mensch zweiter Klasse zu sein, dessen Stimme nichts wert ist.
Vor zwei Wochen haben wir in Kooperation mit der Arbeiterkammer die Sonderbeilage "Corona und wir. Die Pandemie und der Sozialstaat" veröffentlicht. Darin haben allerlei kluge Köpfe über spannende Dinge geschrieben: Etwa wie unterschiedliche politische Systeme auf die Krise reagierten, wie das Pflegesystem in Österreich aufgrund geschlossener Grenzen beinahe zusammengebrochen wäre, wie die Pandemie verdeutlichte, dass der Politik eine Vision für den Kunst- und Kulturbetrieb im 21. Jahrhundert fehlt, wie die Krise das Verhältnis zwischen Staat und Bürgerinnen und Bürgern belastete, warum die Alltagsökonomie (zB. Supermarkt, Müllabfuhr, Reinigung) dringend eine Neubewertung erfahren müsste, inwiefern berufliche und freizeitliche Mobilität ein Privileg darstellen und was Corona für das Klima bedeutet. All diese Texte haben wir nun für Sie freigeschaltet, die gesamte Sonderausgabe können Sie hier bestellen.