Aus dem Leben eines Kritikers - FALTER.maily #1045
Übermorgen erscheint die nächste Ausgabe der FALTER-Buchbeilage. Gerlinde Pölsler (Sachbuch), Kirstin Breitenfellner (Kinderbuch) und ...
es ist Dienstag Nachmittag und im Wiener Schwurgerichtssaal steht Peter Hochegger, roter Pulli, gewinnendes Lächeln und wirkt, wie er selbst sagt "erleichtert". Der Mann verteilte Schmiergeld in der Telekom-Affäre und verantwortete den "Novomatic-Masterplan", das "Drehbuch zur Übernahme der Republik" durch einen Glücksspielkonzern, wie er es selbstironisch nennt.
Jetzt hat Hochegger gerade dem Schlussplädoyer der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft im Grasser-Prozess gelauscht. Hochegger rechnet mit einer Verurteilung, er ist (anders als die Mitangeklagten) geständig, er weiß, dass er eine Haftstrafe ausfassen wird. Er sagt hier ganz frank und frei zu den Journalisten, er habe Karl-Heinz Grasser bestochen.
Was ist hier gestern - nach 166 Verhandlungstagen - passiert? Die Staatsanwälte Gerald Denk und Alexander Marchart haben in ihrem Vortrag all das zusammengetragen, was in diesem Monster-Korruptionsprozess hervorgekommen ist. Es geht hier um viel. Nämlich um die Frage, ob ein FPÖ- und späterer ÖVP-Finanzminister 10 Millionen Euro Bestechungsgeld für sich und seine Freunde angenommen hat, als er 60.000 Bundeswohnungen verkaufte.
Ja, sagen die Staatsanwälte am Ende des Verfahrens. Und sie legen in einem wirklich beeindruckenden Plädoyer all die beschlagnahmten Kalendereinträge, Überweisungsbelege, Emails, Kontenbewegungen, Verträge und Aussagen nebeneinander, um sie zu einem größeren Ganzen zu "vernetzen", wie sie es nennen. Sie sagen: "Wir haben ein Verbrechen von unglaublicher Tragweite aufgedeckt" Und: "Niemand steht über dem Gesetz".
Vor allem die rekonstruierte Spur des Geldes auf einem Konto das Grasser zugerechnet wird, lässt die Schöffen mit offenem Mund lauschen. Auch JournalistInnen und einige Anwälte sind mittlerweile der Meinung, dass Grasser nun ein ernstes Problem hat. Die Strafdrohung beträgt 10 Jahre Haft, bei einem Minister und einem Schaden von 10 Millionen würden im Falle eines Schuldspruches wohl mindestens sieben Jahre Haft rausschauen, glaubt einer der Anwälte.
Heute jedenfalls sind die Verteidiger am Wort. Sie hätten Nebelgranaten geworfen, Ankläger, Richter und Schöffen attackiert und nur für Verwirrung gestiftet, sagt die Staatsanwaltschaft. Die Anwälte werden die Schöffen heute eines Besseren belehren müssen, sonst geht das für ihre Mandanten böse aus.
Eine schöne Woche wünscht
Ihr Florian Klenk
Der Fall Grasser beschäftigt mich übrigens seit 17 Jahren. In meinem Büro türmen sich die Akten, ich kann sie einfach nicht wegwerfen. Die erste Enthüllung fand in diesem Bericht statt. Damals deckte ich auf, dass der damalige Finanzminister mit seinen Freunden Hochegger, Plech und Meischberger erstaunlich viel Steuergeld für PR in eigener Sache zuschob.
Der Bericht führte zu einer parlamentarischen Anfrage der SPÖ. Dort wurde offenbar, dass sich Grasser während der Privatisierung von Staatsfirmen von der Industriellenvereinigung mit 200.000 Euro "sponsern" ließ, die "Homepage-Affäre".
Ein Sponsoring nach dem anderen wurde sichtbar. 2009 platzte dann die Buwog-Affäre, die uns heute noch beschäftigte. Ein besonderes Gustostückerl des Skandals waren die im Falter veröffentlichten, berühmten Einvernahmeprotokolle und das Tagebuch von Grassers Trauzeugen Walter Meischberger. Die Protokolle und Notizen waren von so zeitgeschichtlicher Bedeutung, dass wir sie von den Kabarettisten Thomas Maurer, Florian Scheuba und Robert Palfrader im Audi-Max vorlesen ließen. Der Abend im Audimax war gleichsam die Geburtsstunde der Staatskünstler. Die Leute standen damals bis auf die Ringstraße, um den Satz "Wo woar mei Leistung" und "Da bin ich supernackt" zu hören.
Um den durchaus komplexen Fall für alle verständlich zu machen haben wir vor einigen Jahren noch ein ungewöhnliches Projekt verwirklicht. Gemeinsam mit den Kollegen von Dossier haben wir die Geschichte als Graphic Novel verfilmt. Den preisgekrönten Film und die Hintergründe finden Sie hier. Wer es lieber ganz klassisch mag, kann die Hintergründe der Anklageschrift in diesem Longread nachlesen.
Wie sie also sehen, braucht es einen sehr langen Atem, wenn man Korruption und Misswirtschaft aufdecken und aufklären will. Sie können uns finanziell unterstützen. Mit einem Abo. Oder mit Inseraten.
Und zum Abschluss sei noch ein kleines persönliches "Juhu!" erlaubt. Für die Reportage über die Missstände in der Ballettschule der Staatsoper hat mir Rudi Klausnitzer, Vorstand der gemeinnützigen Privatstiftung "Hilfe mit Plan Österreich" den diesjährigen Journalistenpreis überreicht. Das Preisgeld in der Höhe von 3000 Euro wird einem gemeinnützigen Zweck gespendet. Danke an die mutigen Ballettlehrerinnen und Schülerinnen, die mir die Missstände unter dem Risiko ihrer eigenen Existenzvernichtung anvertraut haben.
Diese Woche gibt's Podcast-mäßig einiges auf die Ohren! Heute erklärt Ihnen der Wahlforscher Christoph Hofinger vom SORA-Institut die Wienwahl, gestern haben die Kabarettisten Florian Scheuba und Michael Niavarani vor laufenden Mikros und ziemlich kreativ ergründet, warum Heinz-Christian Strache den Einzug in den Wiener Gemeinderat nicht geschafft hat.