Paris - FALTER.maily #350

Florian Klenk
Versendet am 21.10.2020

als ich von der Enthauptung in Paris las, fiel mir mein letztes Treffen mit Manfred Deix ein. Ein paar Monate vor seinem Tod traf ich (gemeinsam mit Feuilleton-Chef Matthias Dusini) das Genie im Gmoakeller in Wien. Deix saß am Stammtisch, neben ihm eine Frau Marietta. Er war gezeichnet von einer schweren Lungenerkrankung, er rang damals noch mit dem Leben, aber er konnte spotten wie eh und je. Die Krankenschwestern, so lachte er, hätten ihm dauernd aufs Zumpferl gegriffen, als er im Tiefschlaf lag.

Wir diskutierten über Satire, Spott und das Auslachen religiöser Fundamentalisten. Dann nahm er mein Notizbuch und zeichnete mir mit einem Bic-Kuli eine Karikatur ins Heft. Ein Mann mit sehr langem Bart lüftet seinen Kaftan und zeigt sein sehr, sehr langes, dünnes Deix-Zumpfi. Darüber kritzelte Deix "Allah ist groß".

Die Zeichnung war natürlich keine Verhöhnung einer Gottheit oder gar einer Religion, sondern Spott über jene Fundamentalisten, die Religion für ihre Macht und zur Abwertung von Frauen oder Andersdenkenden missbrauchen. Jedem am Tisch war das klar. Deix war ein Spötter wider jeden religiösen Extremismus. Er machte sich über pädophile Pfaffen ebenso lustig, wie über scheinheilige Kardinäle.

Und dennoch sagte seine Frau: "Manfred, wenn der Falter das druckt, kannst Du jede Nacht in einem anderen Hotel schlafen!" Ich musste versprechen, das Blatt nie zu veröffentlichen. Und daran halte ich mich auch.

Ich gestehe, dass ich die Zeichnung auch jetzt, Jahre nach seinem Tod, nicht drucken würde. Nicht, weil ich Angst um mich hätte, sondern um die Sicherheit der Redaktion. Der globale islamistische Terrorismus kennt keine Satire, seine Handlanger – oft verhetzte Mitläufer – schon gar nicht. Sie köpfen sogar den aufgeklärten Lehrer, wenn es irgendein Hetzer befiehlt.

Das ist ein Problem, über das vor allem auch muslimische ReligionslehrerInnen mit ihren SchülerInnen sprechen müssen. Manfred Deix hat es in einem anderen Interview, das ich mit ihm anlässlich der Morddrohungen rund um die dänischen Karikaturen für die Hamburger Zeit führte wie kein anderer auf den Punkt gebracht. Er sagte: "Ich zeichne jetzt nur noch mit der Burka. Man darf mit diesen Herrschaften mit den langen Bärten offenbar nicht spaßen. Wir erleben hier eine neue totalitäre Bedrohung. Würde ich über Mohammed scherzen, wäre ich in Lebensgefahr. Mir versagt fast die Stimme. Ich leide wie ein Hund. Es ist eine Katastrophe. Ich habe mir die Finger blutig gezeichnet, um die Benachteiligungen der Ausländer anzuprangern. Ich hab Jörg Haider jahrelang verhöhnt. (..) Die jungen Fanatiker sollen doch einmal die Qualität des Lebens in Freiheit mit der Lebensqualität ihrer Eltern in arabischen Staaten vergleichen! Doch was geschieht? Sie prügeln die Schwester, weil sie vor der Ehe gespatzelt hat. Und jetzt verbieten sie uns die Pressefreiheit. Wissen die nicht, wie viele lustige Bilder ich über Jesus gemalt habe. Ich darf zeichnen, was ich will!"

Ihr Florian Klenk


Aus Dem Falter 1

Wir widmen uns auch im aktuellen Falter der Enthauptung von Paris. Melisa Erkurt, die als eine der ersten über die "Generation Haram" publizierte, fordert für Lehrpersonal einen Leitfaden, wenn diese Extremismus in der Klasse wittern. Das wäre, so Erkurt, auch eine Aufgabe für die neue Dokumentationsstelle für den Politischen Islam. Auch Armin Thurnher widmet seine Kolumne den Zuständen in Paris.


Buchtipp

Das Ermorden jener, die den Propheten kritisieren (oder auch nur Karikaturen zeigen, die Fundamentalisten kritisieren) hat eine lange Tradition, die mit der Fatwa gegen Salman Rushdie begonnen hat. Ich empfehle zur Lektüre das famose Buch von Heiko Heinisch und Ines Scholz "Charlie vs. Mohammed", die auch das linksliberale Milieu für mangelnde Solidarität mit Opfern dieser Hassverbrechen kritisieren. Sehr lesenswert ist auch Joseph Antons Biografie Salman Rushdies. Eindrücklich beschreibt er gleich zu Beginn jenen Tag, an dem der iranische Ayatollah Khomeini den Mordaufruf gegen ihn veröffentlichte. Wie Redefreiheit in einer zunehmend vernetzten Welt funktionieren kann, hat Timothy Garton Ash hier aufgeschrieben. Als der große Liberale vor einigen Jahren in Wien weilte, konnte ich ihn interviewen. "Wir dürfen nicht einknicken", warnte er. Das Falter-Gespräch mit Ash lesen Sie hier.


Schmuckstück Der Woche

Die Herbstferien stehen vor der Türe, vielleicht auch ein Lockdown. Zeit, gute Bücher zu lesen. Klaus Nüchtern und Kirstin Breitenfellner editieren jedes Jahr die beste Literaturbeilage des Landes, den FALTER-"Bücherherbst". Sie finden darin Rezensionen der besten Romane, Sachbücher und Kinderbücher. 56 Seiten, die wir etwas zurückhaltend als "Beilage" bezeichnen. In Wahrheit ist dieses wuchtige Heft das Schmuckstück der Woche. Sie können es als E-Paper hier lesen.


Aus Dem Falter

Was Sie im FALTER diese Woche sonst noch so zu lesen bekommen: Nina Horaczek und Josef Redl haben zu den ersten Sondierungen im Wiener Rathaus recherchiert; Lukas Matzinger zur Klage, die der Verbraucherschützer und Ex-Politiker Peter Kolba gegen die Republik wegen Ischgl vorbereitet. Der ORF hat ein berühmtes Rassismus-Experiment vor laufenden Kameras wiederholt; das hat sich Clara Porak für den Falter angesehen, außerdem haben wir die Die Ärzte zu ihrem neuen Album interviewt. Der Ort St. Georgen eröffnet endlich ein Haus der Erinnerung für die Opfer des KZ Gusen und die Viennale versetzt die Stadt trotz Pandemie ins Kinofieber. Viel Spaß beim Lesen!


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