Der Kommandant - FALTER.maily #353

Stefanie Panzenböck
Versendet am 24.10.2020

im Gefängnis eine Zeitung zu produzieren, ist paradox. Die Mitarbeiter, nämlich die Häftlinge, können weder schnell zum Hörer greifen noch im Internet nach Informationen suchen. Sie dürfen auch keine Inhalte veröffentlichen, die sie in Konflikt mit der Anstaltsleitung oder dem Justizministerium bringen. Sie sind unfrei und abhängig. Wie ein solches Projekt trotzdem gelingen kann, zeigte jahrelang die Zeitung Blickpunkte, die in der Justizanstalt Mittersteig geschrieben und gestaltet und in Stein gedruckt wurde.

Das Engagement der Insassen ist nur ein Aspekt eines solchen Unterfangens. Es braucht auch jemanden, der bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Für die Auswahl der Themen und für die Texte der Häftlinge. Der ein Bindeglied ist zwischen dem Staat und dem Gefangenen. Am Mittersteig was das von 1994 bis 2016 Kommandant Rudolf Karl, der Chef der Justizwache. Einmal pro Woche setzte er sich mit den Blickpunkte-Mitarbeitern zusammen. In einem kleinen Raum vor der Kapelle wurden die Tische zusammengeschoben, Artikel besprochen, angenommen, zurückgewiesen, umgeschrieben. Kaum jemand, der zu einem Interview eingeladen wurde, sagte ab. Volksanwältin Gertrude Brinek, Richter Oliver Scheiber, Amnesty-Österreich-Chef Heinz Patzelt oder der Überlebende des nationalsozialistischen Euthanasieprogramms, Friedrich Zawrel, stellten sich den Fragen der Insassen.

Karl war als Kommandant in erster Linie für die Justizwache zuständig. Doch die sinnvolle Beschäftigung der Insassen lag ihm am Herzen. Dafür setzte er sich auch abseits der Blickpunkte ein.  

Seit ein paar Monaten ist Karl nun im Ruhestand. Als er seinen Dienst am 1. Jänner 1976 antrat, brach gerade eine Zeit der Reform an. Vom "humanen Strafvollzug" war die Rede. Was ist davon geblieben? Im aktuellen Falter blickt Rudolf Karl auf 45 Jahre österreichische Justizgeschichte zurück.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

 

Ihre Stefanie Panzenböck


Hinweis

In österreichischen Justizanstalten wurden Insassenzeitungen per Erlass vom 22. August 2016 verboten: "Zur Vermeidung von Missverständnissen bzw. um hier nicht den Eindruck entstehen zu lassen, dass die Straf- und Maßnahmenvollzugsverwaltung Medieninhaber bzw. Herausgeber von Insassenzeitungen und damit verantwortlich für deren Inhalt wäre, sollten daher Mitarbeiter/innen der Straf- und Maßnahmenvollzugsverwaltung keine medienrechtlichen Funktionen für Insassenzeitungen übernehmen bzw. innehaben."

Die Zeitung Blickpunkte hat mittlerweile der Verein SIM – Selbst- und Interessensvertretung zum Maßnahmenvollzug – übernommen, den der ehemalige Insasse Markus Drechsler gegründet hat. 


Corona

Corona und Kultur: Am vergangenen Montag hat die Regierung verschärfte Maßnahmen gegen die Ausbreitung von Covid-19 angekündigt. Am Sonntag werden sie in Kraft treten. Veranstaltungen dürfen nach wie vor stattfinden – in Innenräumen nur mit maximal 1000 Personen (davor waren es 1500), im Freien mit höchstens 1500 (davor waren es 2000). Das gilt allerdings nur bei Veranstaltungen mit zugewiesenen Sitzplätzen. Gibt es die nicht, ist, wie bei privaten Treffen, nur die Zusammenkunft von sechs erwachsenen Personen in geschlossenen Räumen und zwölf im Freien erlaubt. Die Maskenpflicht wird verschärft. Den Mund-Nasen-Schutz muss man auch tragen, selbst wenn man sich auf seinem Sitzplatz befindet. Das Internationale Wiener Filmfestival Viennale findet trotzdem statt. Michael Omasta und Sabina Zeithammer haben aufgeschrieben, was Sie dieses Jahr nicht verpassen sollten.


Zum Hören

In der aktuellen Ausgabe des Falter-Podcast geht es um die Präsidentenwahlen in den USA. Im Wiener Burgtheater lieferten der Historiker Timothy Snyder, der New York Times-Korrespondent Steven Erlanger, die Ex-Botschafterin Eva Nowotny, der Publizist Raimund Löw und der Politologe Ivan Vejvoda Einsichten und Aussichten zu dieser bedeutenden Wahl. Ebenfalls zu empfehlen: Der Falter-Podcast vom Donnerstag, der sich um den Umgang mit dem Karl Lueger-Denkmal in Wien dreht.


Empfehlung

Graue Herbsttage bieten viel Raum für gute Musik. Die Musikerin und Komponistin Julia Lacherstorfer hat gerade ihr neues Album "Spinnerin (a female narrative)" veröffentlicht. Es geht um Geschichten, die in der österreichischen Volksmusik bisher gefehlt haben, um die ungeschönten Biografien von Bäuerinnen, Mägden und Arbeiterinnen auf dem Land. Für sie öffnet Lacherstorfer einen beeindruckenden Klangraum.


Aus Dem Verlag

Das verlängerte Wochenende und die Herbstferien lassen sich auch ohne Auslandsreisen abwechslungsreich gestalten. Zum Beispiel mit Erkundungstouren durch Wiens unbekannte Gässchen und verstecke Hinterhöfe oder entlang der Brücken und legendären Stiegen der Stadt. Outdoor-Fans empfehlen wir Wanderungen durch den Wienerwald oder die Donau-Auen, sowie Fahrradtouren nach und entlang der Grenzen zu Tschechien und der Slowakei. Haben Sie es schön!


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