Srebrenica - FALTER.maily #1049
Der österreichische Politikwissenschaftler Walter Manoschek ist ein Kapazunder im Bereich der Holocaust-Forschung. Seine Arbeit zur Verfolgung ...
im aktuellen Falter ist ein Polizeifoto des Wiener Attentäters Kujtim F. abgedruckt. Es ist schwarz-weiß. unscharf, F.s Augen überdeckt ein schwarzer Balken mit der Aufschrift "Oaschloch!". Ein Zitat eines Anrainers, der ihm beim Morden vom Fenster aus zusah.
Der Falter erntete dafür Kritik in den sozialen Medien. Das Bildnis und selbst der Vorname des Attentäters dürften nicht veröffentlicht werden, so der Wunsch vieler LeserInnen. Alles andere würde den Attentäter zum Helden machen und Nachahmungstäter inspirieren.
Wir haben vor und nach der Veröffentlichung des Bildes über den richtigen Umgang mit den Fotos von Kujtim F. diskutiert. Warum haben wir uns dafür entschieden, dieses eine Foto zu drucken? Weil es ihn eben nicht in Heldenpose zeigt, sondern mit seiner dschihadistischen Inszenierung bricht. Es zeigt ihn als Verbrecher, nicht als Helden. Wir verbreiten, anders als andere österreichische oder internationale Medien, jene Bilder nicht, die der Terrorist von sich selbst als Kämpfer anfertigte.
Wir haben eine Gratwanderung zu bewältigen. Wir sollen einerseits dokumentieren, aber andererseits nicht in die Propgandafalle der Terroristen tappen.
Als der Islamische Staat im Jahr 2014 grausame, aber hochprofessionell produzierte Hinrichtungsvideos verbreitete, haben viele Medien dieses Material gedankenlos übernommen. Auch seriöse Medien gingen der IS-Propagandamaschinerie auf den Leim. Zurecht mahnen daher Terrorexperten einen zurückhaltenden Umgang mit solchem Material ein. Die Medien wurden Handlanger des Terrorismus und verbreiteten deren Inszenierung und Schrecken.
Es gibt aber noch ein zweites Argument gegen die leichtfertige Nennung von Namen oder das Abdrucken von Täter-Fotos: Die Berichterstattung über die Terroristen würde zu Nachahmungstaten führen, man würde den Verbrechern eine "Bühne" bieten.
Ist dem so? Die Forschungslage dazu ist dürftig. Die "posthume Berühmtheit", die ein Attentäter durch eine identifizierende Berichterstattung erfährt, sei keine "Haupttriebfeder" für Dschihadisten, sagt etwa der Wiener Terrorismusforscher Rüdiger Lohlker. Der deutsche Terrorexperte Peter R. Neumann sieht es ähnlich. Wissenschaftliche Untersuchungen, wie Medien in dschihadistischen Kreisen rezipiert werden, gibt es kaum. Lohlker sagt, klassische Medien seien "nicht ganz so wichtig für Jihadis. Ihre Kommunikation ist intern ausgerichtet."
Drittes Argument der Kritiker: das Verschweigen des Namens kann – abseits von der vermeintlichen Vermeidung von Nachahmungstaten – auch ein symbolischer Akt sein. Die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern weigerte sich demonstrativ, den Namen des Christchurch-Attentäters zu nennen. Das ist eine empathische politische Entscheidung, eine selbstbewusste Geste gegenüber den Opfern. Der Täter wird ausgelöscht. Er soll nicht in Erinnerung bleiben.
Medien aber haben eine andere Funktion als die Politik. Sie sollen berichten, was geschehen ist. Auch weil die Bevölkerung ein Recht auf Information hat. Journalismus ist ein grober Entwurf der Geschichte.
Wir wägen die Konsequenzen unserer Veröffentlichungen also sehr genau ab. Wir entscheiden uns in der Regel dagegen, verstörende Bilder zu zeigen, wenn sie einen reinen "Shock-Value" und keinen "Info-Value" haben. Deshalb zeigen wir etwa die Videos und Bilder der Morde von Wien nicht. Wir beschreiben aber in Worten die Taten, die möglicherweise hätten verhindert werden können.
Einen ruhigen Freitag wünscht
Ihre Anna Goldenberg
Zwei Podcast-Folgen zum Terror in Wien sind bereits online. Hier erzählen die Redakteure Lukas Matzinger, Benedikt Narodoslawsky und Eva Konzett sowie Chefredakteur Florian Klenk, die (im Gegensatz zu mir) die Terrornacht in der Redaktion verbrachten, von den Ereignissen der ersten Stunden. Und diese Episode ordnet neben dem Anschlag auch die US-Wahl ein. Zu hören sind unter anderem die DJ Cassy Britton und Österreichs Ex-Botschafterin in den USA, Eva Nowotny.
"Eine Minute, bevor wir das Haus verlassen, dürften die ersten Schüsse gefallen sein. Auf der Straße treffen wir auf verschreckte Burschen vor einem Irish Pub, sie erzählen entgeistert von einer Kalaschnikow. Und dann wird es laut, richtig laut, ein blechernes Gellen: Krt krt krt. Krt krt krt. Vom Schwedenplatz stürmen Polizisten mit Gewehr im Anschlag, wir hämmern an die Redaktionstüre, die Schüsse kommen näher." Lesen Sie hier die Reportage über die Terrornacht und was wir über den Attentäter Kujtim F. wissen.
Was macht das Attentat mit unserer Gesellschaft? Die Migrationsforscherin Judith Kohlenberger hat im FALTER Think-Tank über das pluralistische "Wir" geschrieben, das wir jetzt mehr brauchen denn je.