Mir niederösterreicht’s! - FALTER.maily #1044
Gräben zuschütten. Welch ein frivoles Wort, wenn wir uns vor Augen halten, welche Gräben da angesprochen werden. Nämlich jene ...
am Wochenende hat mich der Brief eines jungen Deutschlehrers erreicht, den ich persönlich kenne und schätze. Er unterrichtet an einer AHS in Niederösterreich, er ist kein fauler Gewerkschaftssumper, ganz im Gegenteil. Ich möchte sein Schreiben hier etwas gekürzt einfach abdrucken. Ich denke, damit ist über das Krisenmanagement von ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann alles gesagt.
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"Lieber Herr Klenk,
Ich will aufzeigen, wie wir Lehrer vom Ministerium und der Politik im Stich gelassen werden. Ich unterrichte an einem Gymnasium in zwölf unterschiedlichen Klassen. Darunter sind drei Klassen, die ich auf die Matura vorbereiten muss. Ich bin auch Klassenvorstand einer Ersten (eine organisatorische Herausforderung). Ich bin Mentor einer Kollegin, die gerade ihr erstes Jahr erlebt, betreue Uni-Praktikantinnen und begleite fünf vorwissenschaftliche Arbeiten.
Das alles habe ich die letzten zwei Wochen so bewältigt, dass ich meine Kleinen vor Ort betreuen konnte und die Großen im "Distance Learning". Ich habe den Stundenplan via Videokonferenzen durchgeführt. Zusätzlich dazu erstellte ich Freitag Nachmittag/ Samstag Vormittag Arbeitsaufträge für die Oberstufe.
Die Arbeiten korrigiere ich immer am Wochenende und unter der Woche, wenn mir Zeit bleibt nach den Präsenzstunden bei den Kleinen vor Ort. Ich korrigiere pro Woche oft 50-100 Aufsätze, die jeweils 700 Wörter enthalten. Das läuft alles digital, mit Stift am Ipad, das Feedback kommt als Sprachnachricht an die Kids zurück.
Die letzten zwei Wochen waren hart, aber es ging noch. Die Nachricht am Samstag, dass jetzt auch die Unterstufe zu Hause bleibt, verschärft die Lage aufgrund des großen organisatorischen Aufwandes. Das größte Problem ist, dass ein Teil der Kinder zu Hause bleibt und ein Teil in die Schule kommt, wo sie in einer "Lernstation" betreut werden sollen. Je nachdem wie viele Kinder bei uns nun in die Schule kommen, werden umso mehr Lehrer gebraucht, die vor Ort sein müssen.
Ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll. Wie soll ich einerseits mit meinen Oberstufenschülern per Videokonferenzen den Unterricht abhalten, die Arbeitsaufträge für Ober- und Unterstufe vor- und nachbereiten und gleichzeitig in der Schule Kinder betreuen und mit ihnen in Lernstationen lernen? Die Behauptung aus dem Bundesministerium, dass einerseits alle Kinder zu Hause und in der Schule optimal betreut werden, ist einfach nicht wahr.
Ich will wirklich nur das Beste für meine Klassen. Der Lockdown der Unterstufe bringt mich aber an die Grenzen des Machbaren. Die Politik lässt uns völlig im Stich.
Es ist ein Armutszeugnis unserer Regierung. Man zwingt die Eltern zu Hause bleiben müssen, um ihre Kinder zu betreuen. Das zeigt, dass es nicht um die Kinder geht, sondern dass die jungen Menschen missbraucht werden, um die Infektionszahlen zu senken.
Ihr XY
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Ich bin gespannt, ob und wie Heinz Faßmann antworten wird. Vielleicht erklärt er uns, wieso es keine Tests, keine Masken, keine Luftmessgeräte, keine Krisenpläne, keine angemieteten Säle, keine Computer gibt. All das haben Experten wie etwa Christian Drosten seit Wochen vorgeschlagen, um Schulen auf Corona vorzubereiten.
Bleiben Sie gesund, wir bleiben dran
Ihr Florian Klenk
Das Chaos in der Schulbürokratie ist auch Gegenstand unserer dieswöchigen Titelgeschichte. Barbara Tóth, Nina Horaczek und Maria Motter haben rekonstruiert, wie man die Schulen auf die zweite Welle hätte vorbereiten können - und warum der allergrößte Teil der WissenschafterInnen von einem Schul-Lockdown abgeraten hat. Auch im Landleben widmen wir uns der Pandemie. Simone Brunner hat aufgeschrieben, wie ein kleines Dorf im Frühjahr alles richtig gemacht hat - und wie nun die Zahlen explodieren.
Ausführlich widmen wir uns diese Woche noch einmal dem Anschlag von Wien. Wir konnten diesmal nicht nur Ermittlungsakten einsehen, sondern auch mit sogenannten islamistischen Gefährdern und Ermittlern des Bundesamts für Verfassungsschutz sprechen. Die selbstkritischen, aber auch alarmierenden Einschätzungen der Behörden haben Eva Konzett, Lukas Matzinger und ich hier zusammengefasst.
Jedes Jahr im November hört man ein großes Schnaufen und Ächzen im Ressort Stadtleben. Der Grund: Birgit Wittstock schreibt dann unser Sonderheft "Hilfe, Geschenke!". Wir sammeln schöne Sachen von Wiener Unternehmen und verlosen sie gegen eine Spende an unsere LeserInnen. Der Reinerlös geht an das Integrationshaus von Willi Resetarits. Vergangenes Jahr sind so 100.373 Euro zusammengekommen. Besonderen Dank geht an Kollegin Birgit Wittstock, an unsere Redaktionsassistentin Tatjana Ladstätter, Marketing-Chefin Barbara Prem und die vielen helfenden Hände und Spenderinnen und Spender, die diese Beilage möglich gemacht haben. Details dazu erfahren Sie im morgigen Maily.
Meine Kollegin Barbara Tóth moderiert heute um 20h das digitale "Café Brandstaetter" zum Thema "Vom Wert des Menschen. Wege aus der Krise". Zu Gast sind die Soziologin Barbara Prainsack, die Gründerin des linken Think-Tanks "Momentum" und Franz Schellhorn, der Leiter der wirtschaftsliberalen Denkfabrik Agenda Austria. Das Gespräch können Sie hier live mitverfolgen.
Zwei gute Nachrichten möchte ich Ihnen hiermit auch noch übermitteln: Wir wachsen und bauen um. Vergangene Woche wurde durch ein gut informiertes Branchenblatt vorzeitig bekannt, dass wir den Profil-Ressortleiter Martin Staudinger, einen der besten Journalisten des Landes, abgeworben haben. Staudinger, der vor 22 Jahren den Falter verlassen hatte, kehrt nächstes Jahr in die Marc-Aurel-Straße zurück, um ein neues digitales Projekt aufzubauen. Wir werfen unsere Hüte in die Luft und jubeln. Welcome, Staudl!
Aber das ist noch nicht alles. Ich gebe die Leitung des Politischen Ressorts an meine Kollegin Eva Konzett, 36, ab und werde mich verstärkt der Chefredaktion widmen. Lukas Matzinger, 30, leitet ab sofort das Ressort Stadtleben. Neben Barbara Tóth, 46, (Medien, Politisches Buch, Think-Tank) Matthias Dusini, 53, (Feuilleton) und Lisa Kiss, 57 (Woche), bilden sie das neue verjüngte Leitungsteam unserer Zeitung.