Coronafreaks - FALTER.maily #385

Matthias Dusini
Versendet am 01.12.2020

die Bilder von Anti-Corona-Demos lösen eine Mischung aus Faszination und Entsetzen aus. Anders etwa als bei den Pegida-Aufmärschen in Dresden nach 2015 stehen in der Regel keine Rechtsradikalen am Rednerpult, sondern Personen, die man im Jargon der Gegenkultur als Freaks bezeichnen würde: Impfgegnerinnen mit Dreadlocks, militante Esos, akademische Aussteiger und Medienkritikfundis. All jene, die sich im Sinne eines emanzipatorischen Lebensstils dem Label links zuordnen, wenden sich ab. Sie blicken in einen schmutzigen Spiegel. 

Die Landkommunen und besetzten Häuser der 70er-Jahre waren voll solcher Vögel, mit denen kein Staat und nur schwer ein Antistaat zu machen war: dem "System" gegenüber ablehnend, stets zu Empörung und Betroffenheit bereit und viel zu schrullig, um sich in marxistischen Lesekreisen disziplinieren zu lassen. Umberto Eco verglich sie mit Flagellanten, den sich selbst geißelnden Bußpredigern in der Pest des 13. Jahrhunderts. Dieser Mainstream der Splittergruppen war die Basis der Anti-AKW- und Friedensbewegung, und es ist wohl diesen oft als Spinnerinnen und Spinnern Belächelten zu verdanken, dass die Ökologiebewegung Fahrt aufnahm und die Medizin heute etwas weniger schulisch ist. 

Mit dem Hinweis auf die Unterwanderung durch rechts landen die "Querdenker" rasch bei den Unberührbaren. Die linksliberale Öffentlichkeit, die sich zwischen Yoga und Veganismus längst mit der Konsumgesellschaft ausgesöhnt hat, rümpft über die schmuddeligen Verwandten die Nase. Vielleicht, weil gerade sie das verkörpern, was linke Bewegungskultur einmal auch ausmachte. Die Anti-Corona-Demonstranten schmieden krude Theorien über die Herkunft des Virus aus finsteren Laboren – so wie jene Freaks, die hinter jeder Marlboro-Packung den Ku-Klux-Klan vermuteten. Und hat nicht auch die Neoliberalismus-, vulgo Imperialismuskritik mitunter Züge einer akademisch geadelten Verschwörungstheorie, die die Module Wallstreet, Industriellenvereinigung und Selbstoptimierung zu einem Kartell zusammenschraubt? Die Anti-Corona-Demos lösen einen inneren Widerstand gegen das aus, was nicht in unser geschöntes Selbstbild passt. 

Turn on, tune in, drop out,

Ihr Matthias Dusini


Eine Offene Frage

Gärten sind die Leidenschaft des Wiener Künstlers André Heller. Bezaubert von seiner Oase in Marrakesch, beauftragte ihn die Südtiroler Stadt Brixen mit der Gestaltung eines historischen Klostergartens, allerdings ohne sich an die Bestimmungen öffentlicher Auftragsvergaben zu halten. Die Südtiroler Architektenkammer reichte einen Rekurs gegen das Millionenprojekt ein, dem nun in allen Punkten stattgegeben wurde. "Die Vorgangsweise der Gemeinde war nicht korrekt", urteilten die Richter des Bozner Verwaltungsgerichts. Der Südtiroler Heller-Garten wird wohl eine Fata Morgana bleiben. Ein Sieg der Fairness.


Zum Hören

Scheuba fragt nach….diesmal bei Hannes Androsch. Plumps statt Rums? Der "reife Rote" geißelt die Coronastrategie der Regierung. Im Talk mit Florian Scheuba führt Androsch vor, wie messerscharfe Oppositionspolitik klingen könnte.


Zum Lesen

Stell dir vor, es gibt eine Impfung und keiner geht hin! Die Gesundheitspolitik-Expertin Katharina T. Paul beschreibt in ihrem Beitrag für den FALTER Think-Tank, warum Transparenz neben der klinischen Wirksamkeit den Erfolg der Corona-Impfung bestimmen wird, was die Regierung gegen die Impfskepsis tun sollte - und was lieber nicht.


Zum Nachdenken

Für die Kinder, die im Wiener Integrationshaus wohnen, stellt der Lockdown eine besonders große Herausforderung dar. Ihre Eltern sind aufgrund der Fluchterfahrungen meist psychisch belastet und tun sich schwer, ihre Kinder im vollen Ausmaß zu unterstützen. Darüber hinaus fehlt oft die notwendige technische Ausstattung. Durch die FALTER-Spendenaktion "Hilfe, Geschenke" können Sie mithelfen, die psychologische Kinderbetreuung im Integrationshaus auch für das nächste Jahr sicherzustellen.


Was Uns Freut

Der steirische Bergbauer Christian Bachler ist schuldenfrei! 150.000€ galt es zu sammeln, um die von der Raiffeisen-Bank Murau fällig gestellten Kredite zurückzuzahlen und die Versteigerung des höchst gelegenen Bauernhofs der Steiermark zu verhindern. Weitere 120.000€ an Schulden wollte Bachler durch den Verkauf seiner Almflächen tilgen. Das ist nicht mehr nötig: Montagabend hatten 8350 Spenderinnen und Spender dem Bauern 305.710€ (Stand 20:00) zukommen lassen. Was für ein beeindruckender Akt zivilgesellschaftlicher Solidarität! Christian Bachler wird übrigens jeden extra Euro in den Ausbau seiner an Tierwohl und Nachhaltigkeit orientierten Landwirtschaft investieren und noch vehementer gegen die Auswüchse der fehlgeleiteten Agrarpolitik auftreten.


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