Wehrt euch, RichterInnen

Florian Klenk
Versendet am 09.12.2020

als Karl-Heinz Grasser sein Urteil vernahm, vergangenen Freitag gegen 10:30, da habe ich oben auf der Galerie des Wiener Straflandesgerichtes gegrübelt, wie er reagieren werde. Sein Kumpel Walter Meischberger war aufgebracht aus dem Saal gelaufen, Grasser aber blieb die ganze Zeit ruhig sitzen, die Maske vor dem Gesicht. Ich überlegte, ob der Mann nun Demut zeigen, ob er vielleicht kurz einmal seine Verteidigungsstrategie überdenken werde. Seit einem Jahrzehnt unterstellt er ja den Strafverfolgungsbehörden de facto fortgesetzten Amtsmissbrauch (übrigens völlig sanktionslos).

Nach zwei Stunden, als er wegen Bestechung, Untreue und Beweismittelfälschung sein nicht rechtskräftiges Urteil in der Höhe von acht Jahren Freiheitsstrafe ausfasste, war klar, wie Grasser reagiert. Da er die Beweiswürdigung des Schöffensenats rechtlich nicht bekämpfen darf, schießt er sich nun auf die Richterin ein. Und so stand Grasser wenige Minuten vor Ende des Verfahrens vor dem Gerichtssaal, umringt von Journalisten und beschimpfte Richterin Marion Hohenecker. Sie habe ihn ohne jeglichen Beweis verurteilt. Sie sei befangen (weil ihr Mann gegen Grasser unsägliche Tweets absetzte). Das Gerichtsverfahren habe seine Unschuld bewiesen. Das Urteil sei ein Skandal. Die Richterin, die er gerade noch so gelobt hatte, stand mit Dreck beworfen da.

Grasser bekam für diese seine Litigation-PR nicht nur Sendezeit im TV, sondern auch große Flächen in Österreichs Tageszeitungen. Auch Walter Meischberger stieß ins gleiche Horn. Die Richterin sei der Skandal, nicht sein Verhalten.

Man hätte nun erwartet, dass ein Sprecher des Landesgerichts oder eine Sprecherin der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft den Medien das Urteil und das lange Verfahren erklärt und die Richterin verteidigt. In ruhigen und sachlichen Worten hätte man der Öffentlichkeit erzählen können, wieso der ehemalige Finanzminister verurteilt wurde.

Das ist allerdings nicht üblich in der Justiz. Die Justiz spricht in Österreich durch den Mund der Richterin. Und sonst nicht. Das Landesgericht und die WKStA versendeten zwar via Email an einige Medien sperrige Pressemeldungen im PDF-Format, aber eine wirklich substantiierte und auf der Höhe der Zeit stehende Pressearbeit – etwa auch in den meinungsbildenden Sozialen Medien – erfolgte nicht.

Das ist nicht mehr zeitgemäß, wie Politiker für sich selbst erkannt haben - auch Justizministerin Alma Zadić. Doch auch die Justiz müsste endlich lernen, sich zu erklären, unmittelbar und schnell. Denn die Litigation-PR von White-Collar-Kriminellen wird immer besser und sie wirkt nach. Richterin Marion Hohenecker, die einen exzellenten Job macht, wird in den nächsten Monaten immer wieder diskreditiert werden. Und vielleicht bleibt dann ja doch irgendwas hängen.

Warum ihr Urteil gegen Grasser hart, aber gerecht ist, habe ich hier aufgeschrieben. Meine Kritik an der Medienarbeit der Justiz und den jüngsten höchst beunruhigenden Vorgängen im Justizministerium im Rahmen der Ibiza-Affäre lesen Sie hier. Eine der wichtigsten Staatsanwältinnen hat gerade entnervt das Handtuch geworfen, der Druck von oben war ihr zu groß. Justizministerin Alma Zadić muss sich entscheiden, ob sie eine engagierte Anklägerin im Regen stehen lässt oder sich gegen alte Seilschaften zur Wehr setzt.

Ihr Florian Klenk


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Zum Nachschaün

Puls24 hat mich am Tag der Urteilsverkündung eingeladen, Karl-Heinz Grassers TV-Auftritt ebendort zu analysieren und das Urteil gegen ihn einzuordnen. Den Beitrag können Sie hier nachschauen.


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