Akademische Seepocken - FALTER.maily #410

Eva Konzett
Versendet am 09.01.2021

"Vielleicht, daher ist es seltsam, dass, wenn es irgendeine Phrase, die garantiert wird, um mich auf den Weg, es ist, wenn jemand zu mir sagt: 'Okay, fein. Du bist der Chef!", Sagt Branson. "Was mich ärgert ist, dass in 90 Prozent der Fälle, wie, was diese Person wirklich sagen will, ist: 'Okay, dann glaube ich nicht mit Ihnen einverstanden, aber ich werde rollen und tun es weil sie sagen mir zu. Aber wenn es nicht klappt werde ich der Erste sein, der daran erinnert, dass es nicht meine Idee!" (sic!)

Dieser Nonsens stammt nicht aus der Feder eines ungeübten Dadaisten, sondern aus der Dissertation der österreichischen Ministerin für Arbeit, Familie und Jugend, Christine Aschbacher von der österreichischen Volkspartei. Im Fernstudium hatte sie das Doktorat an der Technischen Universität in Bratislava, Zweigstelle Trnava, Matrikelnummer MTF-10905-42313, abgelegt. Die Defensio erfolgte erst im vergangenen September. Da war Aschbacher seit neun Monaten Regierungsmitglied, Österreich und die Welt kämpfte mit der Covid-19-Krise, die Arbeitslosigkeit stieg hierzulande nach einer Sommerpause wieder an. Arbeitnehmer mit Job befanden sich im Corona-Homeoffice-Arrest, aber ohne rechtliche Grundlage. Aber Frau Aschbacher hatte Zeit gefunden, sich auf 134 Seiten dem "Entwurf eines Führungsstils für innovative Unternehmen" anzunehmen, beziehungsweise Textstellen zusammenzustoppeln. In der Dissertationsschrift finden sich ganze Passagen, etwa aus einem Artikel des Forbes-Magazins kopiert, wieder. Inklusive ungestümer Metaphern des Originaltexts: "Annahmen sind wie Seepocken an einem Boot. Sie verlangsamen uns". Aha.

21 Prozent des Gesamtextes sind direkt abgeschrieben, sagt der Plagiatsforscher Stefan Weber und weiter: "Aufgrund des Collagen-Prinzips und der systematischen Verschleierung von direkten (wörtlichen) Zitaten als indirekte (sinngemäße), zum Teil über mehrere Seiten am Stück, ist von einer weit höheren Dunkelziffer auszugehen. Die Stilbrüche zwischen dem geringen Eigentextanteil und den absatz- und seitenweise übernommenen Stellen könnten eindrücklicher nicht sein."

Aschbacher hat die Arbeit im Mai wohlgemerkt als Ministerin eingereicht. Und eidesstaatlich erklärt, "die vorliegende Dissertationsarbeit selbstständig und ohne unerlaubte Hilfe erstellt zu haben". Das Ganze gibt es dann auch noch auf Slowakisch.

Schon die Masterarbeit der Ministerin, 2006 an der Fachhochschule Wiener Neustadt eingereicht, beinhalte Plagiate, falsche Zitierungen, grobe grammatikalische Schnitzer, sie sei schlichtweg unlesbar und eine "wissenschaftliche Katastrophe", sagt Weber. Die Fachhochschule Wiener Neustadt will nun prüfen. Sie hatte das Zettelwerk einst mit "Sehr gut" benotet. Ob es denn üblich sei, dass die Studenten der FH für das Doktorat in die Slowakei ausweichen, beantwortet man dort mit: "Eher nein."

Österreich liebt das titularische Etikett. Und schon immer hat es manche gegeben, die statt der Serpentine die Abkürzung wählten. Schweißtreibend führt der Weg zum akademischen Berg hinauf. "Der Titel bringt mehr herein, als für ihn bezahlt wurde", schrieb Karl Kraus 1906.

Christine Aschbacher ist Ministerin. Sollte sich der Verdacht bestätigen, dass sie sich einst als junge Frau und vor allem ein zweites Mal als Regierungsmitglied akademische Abschlüsse betrügerisch angeeignet hat, muss sie die Kosten dafür tragen. Ihr offenbar erschlichener Titel käme sie dann teuer zu stehen: Rücktritt!

Ihre Eva Konzett


Aus Dem Falter

Was verdient ein Ghostwriter wissenschaftlicher Arbeit? Warum will die Regierung hier jetzt nachschärfen und setzt Strafen von bis zu 60.000 Euro an? Und was passiert eigentlich, wenn der Ghostwriter pfuscht? Anna Goldenberg hat im Dezember Isabella getroffen, die für Geld anderer Leute Texte geschrieben, und sich damit ihr eigenes Studium finanziert hat. 


Aus Dem Archiv

Karl-Theodor von Guttenberg galt als die Hoffnung der deutschen Konservativen, schneidig, eloquent, das Studium der Rechtswissenschaften nach anfänglichen Schwierigkeiten mit summa cum laude abgeschlossen. Ein Strahlemann. Bis er eingestehen musste, dass er die Arbeit nicht selber verfasst hatte. Die Süddeutsche Zeitung deckte den Skandal 2011 mit diesem Artikel auf.


Nachlese

35 Jahre lang gab Karl Kraus "Die Fackel" heraus. Diese unerschöpfliche Chronik des Österreichischen, alle 37 Jahrgängen, 415 Heften und 922 Nummern mit 22.586 Seiten hat die Österreichische Akademie der Wissenschaften 2007 online zugänglich gemacht. Man möge Ihr dafür danken!


Aus Dem Verlag

Das Wochenende wird sonnig, da kann man dem Lockdown-Trott besonders gut durch einen ausgedehnten Naturspaziergang entkommen. "Wandern im Wienerwald" aus dem Falter Verlag hat die 30 schönsten Wanderungen in und um Wien für Sie zusammengeschrieben, also nichts wie raus mit uns und Ihnen! 


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