Das war knapp! - FALTER.maily #411

Armin Thurnher
Versendet am 11.01.2021

die Pandemie ist für einen kurzen Augenblick in den Hintergrund getreten. Das wird unserer Regierung nicht unrecht sein, die bei deren Bekämpfung ihren allumgreifenden Dilettantismus offenbart. Andererseits wird ihr das Ereignis, das sich in den Vordergrund schob, auch nicht wirklich recht gewesen sein. Die Arbeits- und Sozialministerin Christine Aschbacher war schon in unfreundlicher Erinnerung, weil sie als Propaganda für sich und die missglückte Coronahilfe der Regierung einem Baby auf einem gestellten Foto einen Hunderter in die Hand drückte und tat, als sei das ganz normal. Bis aufkam, die Sache war gestellt, die Familie aus der Neuen VP und Aschbachers Ausreden auswendig gelernt.

Diesmal war es ein Stück schlimmer. Sowohl ihre Fachhochschularbeit als auch ihr Doktorat, während ihrer Zeit als österreichische Ministerin in der Slowakei erworben, bestehen, wie Plagiatsexperte Stefan Weber aufdeckte, über weite Strecke aus Plagiaten und betörendem Kauderwelsch, das ich Ihnen trotz seines hohen Unterhaltungswerts hier erspare.

Interessanter war, dass gleich nach Aschbachers Fall im Kanzleramt niemand mehr Frau Aschbacher kannte. Hans Bürger, Kanzlergesandter im ORF, meinte entschuldigend, Sebastian Kurz könne nichts dafür, Aschbacher sei ihm von der steirischen ÖVP aufs Auge gedrückt worden.

Alles nicht wahr, stellte sich bald heraus. Kurz und Aschbacher kennen einander seit Jahrzehnten. Sie gehörte vielmehr zum Kurz'schen Kernteam, zu jenem Kreis verschworener Dilettantinnen (Männer mitgemeint), mit denen er die Macht übernahm. Wobei der Kanzler den Vorteil hat, keine Diplomarbeit geschrieben zu haben, was ihm naturgemäß die Versuchung ersparte, sich einen akademischen Titel auf slowakisch anzueignen.

Donald Trump hatte keine solchen Sorgen, er gründete gleich selbst eine Trump-Universität; sie war aber keine, zog nur Studierende über den Tisch und wurde nach zahlreichen Klagen wegen Betrugs wieder geschlossen. Das war bloß eine der zahlreichen Schwindel-Episoden in der Karriere des Lügen-Donald. Ihm droht nun ein zweites Mal ein Impeachment-Verfahren, weil er als Präsident seine Anhänger aufhusste, das Kapitol, also das Parlament zu besetzen, das gerade dabei war, Joe Bidens Wahl zum neuen Präsidenten zu bestätigen.

Wäre Trumps Plan aufgegangen, wäre es möglicherweise zu einem Blutbad gekommen. Trump hielt die Nationalgarde zurück, um den in seinem Namen protestierenden Mob zu begünstigen; sein Vizepräsident Mike Pence zeigte mehr Verantwortung und rief die Nationalgarde, die dann, spät aber doch, die Situation einigermaßen friedlich bereinigte.

Ich musste wieder einmal an Philip Roths Roman "Verschwörung gegen Amerika" denken, in dem er eine faschistische USA schildert; Präsident ist dort nicht F. D. Roosevelt, sondern der faschistische Fliegerheld Charles Lindbergh. Wäre es so gekommen, regierte Faschismus in Europa, es gäbe weder Menschenrechte, Demokratien noch Vereinte Nationen.

Viel wird bei uns darüber diskutiert, was es bedeutet, dass die Social Media (Facebook, Twitter und andere) Trump seinen Account weggenommen haben. Man kann auch darüber nachdenken, was es für uns Europäer bedeuten würde, wären die USA kein demokratischer, sondern ein faschistischer Staat. Wir sind vergangene Woche knapper daran vorbeigeschrammt, als wir glauben möchten.

Umso wichtiger wäre es, unsere Regierung, deren Spitzen (Kanzler samt Beratern) gern strahlend mit Trump posierten, würde nicht Nebelwerfen zur olympischen Disziplin erheben, sondern eine klare Politik machen und aussprechen, worum es gehen muss: den Kampf um den demokratischen, sozialen, europäischen Rechtsstaat. Was wir gar nicht brauchen: Zweifel, ob wir dessen Feind im eigenen Haus haben.

Wünsche trotzdem eine Woche mit erhobenem Kopf,

Ihr Armin Thurnher


Seuchenkolumne

Eine kleine Serie befasste sich in spielerischer Form mit Medienfragen. Zum Beispiel, ob es die Meinungsfreiheit verletzt, wenn man Inserate abweist, wie der Kurier behauptet; ob es gut ist, wenn Social-Media-Konzerne Donald Trump die Accounts wegnehmen; oder ob Journalisten Satire treiben oder dazu aufrufen dürfen, anderen Menschen zu helfen. Hier können Sie die Kolumne kostenlos abonnieren und alles nachlesen.


Aus Dem Archiv

Da und dort wurde gefragt, ob und wo man Trumps Tweets einsehen könne, da sein Account nun gelöscht ist. Hier ist eine Möglichkeit, angelegt von einem Menschen, der das Problem vorausgesehen hat.


Podcast

Wenn kluge Frauen und Männer die Weltlage besprechen, ist meistens Raimund Löw dabei. Hier tut er es mit Nina Chruschtschowa (Moskau, New School New York), Steven Lee Myers (Seoul, New York Times) und Eva Nowotny (Wien, Kreisky Forum). Ein Meinungsaustausch quer über die Kontinente in englischer Sprache in Zusammenarbeit mit dem Bruno Kreisky Forum. Aufgezeichnet zur Jahreswende 2020/2021.


Hinweis

Morgen Abend erscheint der erste Falter im neuen Jahr. Ich freue mich schon darauf. Sie auch?


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