Das doppelte Pech der seltenen Krankheit - FALTER.maily #418

Birgit Wittstock
Versendet am 19.01.2021

es ist ein makaberer Gedanke, der mir kommt, als ich die E-Mail mit dem Wort "Hilferuf" im Betreff lese, die uns Conny D. geschrieben hat: Ist es nicht fast schon Glück, dass aus der Covid-19-Epidemie eine Pandemie wurde? Ein erschreckender, und menschenverachtender Gedanke, wenn man ihn laut ausspricht, aber dennoch: hätten die Pharmakonzerne sonst auch nur annähernd so schnell einen Impfstoff auf den Markt gebracht und wäre auf faire Verteilung geachtet worden, darauf, dass auch jene Zugang erhalten, die ihn sich nicht leisten können?

Bei Medikamenten stellt sich nämlich neben der Frage nach dem wissenschaftlich belegbaren Gesundheitsgewinn auch immer die, wie viel dieser der Gesellschaft wert ist. Je mehr Menschen von einer Krankheit betroffen sind, desto größer ist das Allgemeininteresse, diese zu heilen. Das ist nachvollziehbar, vor allem, wenn es um eine ansteckende Krankheit wie Covid-19 geht. Angesichts der Bedrohung werden Fragen wie etwa nach der Dauer der Wirksamkeit der Impfung oder ob diese Schutz vor diversen Mutationen bieten kann sekundär.

Anders ist das bei seltenen Erkrankungen. Da will man alles im Detail wissen, ehe man als Kollektiv in die Tasche greift und teure Behandlungen für ein paar wenige bezahlt. Da wird nach dem Motto "Strenge Rechnung, gute Freundschaft" eine unbarmherzige Kosten-Nutzen-Rechnung zu Gunsten der gesunden Mehrheit geführt. Besagte Conny D. weiß davon zu erzählen.

Die 41-jährige Internistin leidet an EPP (Erythropoetische Protoporphyrie), einer seltenen, erblichen Stoffwechselerkrankung, die unter anderem dazu führt, dass Sonnen- und LED-Licht derartig auf der Haut schmerzt, "dass es sich anfühlt, als würde einem die Haut vom Körper gerissen", erzählt Conny D. Seit ihrer Diagnose im Alter von fünf Jahren lebte sie also mit ständigen starken Schmerzen und verließ das Haus nur vermummt.

Als 2015 die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) dann endlich das Medikament "Scenesse" mit dem Wirkstoff Afamelanotid für Patienten über 18 Jahre bewilligte, war die Hoffnung der Betroffenen auf mehr Lebensqualität wohl mindestens so hoch, wie unser aller Hoffnungen nun in Bezug auf die Covid-Impfung. Doch anders als wir konnten sich Conny D. und die anderen rund 40 Menschen, die in Österreich von EPP betroffen sind, nicht einfach zur Behandlung anmelden.

Diese verläuft mittels Implantat, dessen Wirkung zwei Monate anhält und kostet etwa 14.500 Euro. Pro Jahr sind vier Implantate vorgesehen, macht also 56.000 Euro pro EEP-Patientin oder -Patient. Zwar bemühen sich seit der Zulassung Patienten in Österreich um Behandlung, jedoch mit minimalem Erfolg. Und während in den Niederlanden, der Schweiz und Deutschland die Kosten längst von den Krankenkassen bezahlt werden, ist in Österreich die Kostenübernahme nach wie vor nicht geregelt. Derzeit sind deshalb nur drei EEP-Patienten in Behandlung.

Grund dafür ist, dass sich die betreffenden Krankenanstaltenverbände – aufgrund der EMA-Auflagen ist die Abgabe von Scenesse nur in einem dafür zertifizierten Zentrum erlaubt, das sind in Österreich die Uni-Kliniken Tirol und Graz – und die Krankenkassen die Kostenübernahme hin und her spielen oder auf die Nichtwirksamkeit des Medikaments verweisen, zu dem Daten zur Langzeitsicherheit erst erhoben werden.

Conny D. wird seit 2017 aufgrund einer Sonderbewilligung für die Kostenübernahme mit Scenesse behandelt, seitdem setzt sie sich als Obfrau des Vereins EPP Austria für die Behandlung von EEP-Patienten in Österreich ein. Bislang jedoch erfolglos.

EEP ist nur eine von etwa 6000 bis 8000 unterschiedlichen seltenen Krankheiten, die in Europa diagnostiziert wurden: Sechs bis acht Prozent der europäischen Bevölkerung leiden an einer seltenen Erkrankung oder erkranken im Laufe ihres Lebens an einer. In absoluten Zahlen sind das 27 bis 36 Millionen Menschen in der EU und rund eine halbe Million in Österreich – rund 50 Prozent davon sind Kinder. Sie alle haben das Pech, vulnerablen Kleingruppen anzugehören, deren Behandlung dem vom Kollektiv finanzierten Gesundheitssystem oft schlichtweg als unwirtschaftlich gilt.

Ihre Birgit Wittstock


Noch Ein Hinweis

Der Verein EPP Austria hat übrigens gerade eine Petition am Laufen, um die zuständigen Behörden auf die Problematik aufmerksam zu machen.


Aus Dem Archiv

Wie Conny D. ergeht es auch Christina Holmes, die an spinaler Muskelatrophie leidet und ebenfalls seit Jahren um die Behandlung mit einem Medikament kämpft, das in den Nachbarländern längst eingesetzt wird. Den Bericht finden Sie hier.


Zum Hören

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Kolumne

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