Hymne an den Pranger

Eva Konzett
Versendet am 19.02.2021

die Demütigung braucht Öffentlichkeit. Eine Maßregelung im Privatem schmerzt, erst der Zuschauer aber macht sie zur Beschämung. Als im Mittelalter die Obrigkeit Menschen an den Prangern band, gab man sie deshalb dem Mob frei: Der warf dann mit Unrat und Kot.

Der Pranger stand für eine Sichtbarkeit der Rechtsprechung, er hatte neben der unmittelbaren Bestrafung des Delinquenten eine weitere andere Funktion: Er versicherte alle jene, die sich nicht am Pranger wiederfanden, dass ihre Normen und Gepflogenheiten Gültigkeit besaßen. Der Pranger bekräftigte die Kontinuität.

Am Donnerstag fand sich der österreichische Aktivist Rudi Fußi an einen anderen Pranger gestellt. Fußi, Enfant terrible der hiesigen Politbeobachter- und Politberaterszene, einer, der poltert, wenn es um die Sache geht, hatte, nachdem in den Morgenstunden des 28. Jänner eine georgische und eine armenische Familie abgeschoben worden waren, einen wütenden Tweet abgesetzt und die Intelligenz der durchschnittlichen Polizeibeamten irgendwie mit jener von Hunden gleichgesetzt. Dann entschuldigte Fußi sich. Er löschte den Tweet.

Innenminister Karl Nehammer aber ritt aus, seine Beamtenschaft vor solch Unbill zu schützen und kündigte an, rechtliche Schritte gegen Fußi zu prüfen. Um dem Anliegen formalen Charakter zu geben, wurde dies auch auf der Webseite des Innenministeriums veröffentlicht. Auf der Startseite. Für alle sichtbar.

Dem Pranger liegt eine Sache inne, die der moderne Strafvollzug nicht hat: Er hebt das heimliche Strafen auf. Die Bestrafung passiert coram publico. Das sollte immer die abschreckende Wirkung verstärken. Der Pranger wirkt demnach "generalpräventiv". Er hält andere von ähnlichen Taten ab.

Was dabei ein bisschen vergessen wurde: Eine Strafe setzt ein Urteil voraus. Im Falle Fußis wurde längst keines gesprochen. Die Generalprävention dürfte trotzdem glücken: Jeder weiß jetzt, dass man nicht zimperlich ist. Das Ziel ist erreicht.

1702 stand ein anderer streitbarer Publizist und politischer Redenschreiber am Pranger in London: Daniel Defoe. Er hatte eine Streitschrift gegen die Kirche geschrieben und wurde dafür gepeinigt. Er nutzte den Moment der Öffentlichkeit und deklamierte ein Gedicht, eine "Hymne an den Pranger". Und was hatte Defoe zu sagen: Unter anderem diesen schönen Satz: "Actions receive their Tincture from the Times, And as they change are Vertues made or Crimes".

Kommen Sie gut ins Wochenende,

Ihre Eva Konzett


Zum Schaün

Wie der arme Daniel Defoe im Pranger steckt, kann man anschauen, wenn dann das Wien Museum nach Renovierung und Lockdown-Ende wieder geöffnet hat. Bis dahin hilft diese virtuelle Vervielfältigung.


Was Uns Freut

Für die Recherchen zur Ibiza-Affäre landete der Falter gemeinsam mit dem Spiegel und der Süddeutschen Zeitung auf Platz 2 der Shortlist für den 'Investigative Journalism for Europe Impact Adward'! Wir freuen uns sehr und bedanken uns bei den Kolleginnen und Kollegen für die tolle Zusammenarbeit.


Podcast

Der Themenkomplex Ibiza-Schredderaffäre–WKStA beschäftigt uns bekanntlich bis heute. In den vergangenen Tagen sind im Ibiza-Untersuchungsausschuss besonders brisante Informationen ans Licht bekommen, die die ÖVP weiter unter Druck setzen. Welche das sind, erfahren Sie in diesem Gespräch im FALTER-Podcast, das auch einen zusammenfassenden Überblick der gesamten Causa schafft. Zu Gast bei Raimund Löw waren die Nationalratsabgeordnete Stephanie Krisper (NEOS), der Ex-Korruptionsstaatsanwalt Walter Geyer (ehem. Grüner Abgeordneter), Falter-Kolumnist Peter-Michael Lingens und Chefredakteur Florian Klenk.


Zum Hören

Nicht verpassen: Morgen erhalten Sie zwar kein Maily, eine neue Podcast-Episode haben wir aber sehr wohl für Sie. Herzl und Lueger, Zionismus und Antisemitismus: Der Schriftsteller Doron Rabinovici spricht über Wien um 1900. Der Vortrag wurde im Rahmen eine Online-Veranstaltung der Jüdischen österreichischen HochschülerInnen aufgezeichnet.


Aus Dem Verlag

Manchmal ist größer einfach besser, meinen Sie nicht? Das dachten sich auch unsere Kolleginnen aus dem Falter Verlag und haben eine Liste großartiger Bücher im Großformat erstellt, darunter solche über Matriarchinnen, über Ischgl oder die 50 legendärsten Radrouten durch Europa.


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