Kowall und Zwander - FALTER.maily #1100
Ich möchte Ihnen heute von zwei Sozialdemokraten erzählen, die ich in den vergangenen Jahren doch recht intensiv beobachten konnte und die ...
es mehr als zwanzig Jahre her, dass ich Georg Zanger kennenlernte, den damaligen Anwalt von Marcus Omofuma. Der Schubhäftling wurde bei einem Flug nach Sofia von Polizeibeamten gefesselt, sein Mund war verklebt worden. Er erstickte qualvoll. Dass die Polizisten verurteilt wurden, war auch Zanger zu verdanken, denn er machte öffentlich Druck und spielte uns Journalistinnen und Journalisten Akten aus dem Vorverfahren zu, etwa ein gerichtsmedizinisches Gutachten, das er für mangelhaft hielt (es attestierte Omofuma einen Herztod). Ohne die Veröffentlichung der Akten wäre der Fall wohl eingestellt worden.
Der Fall Omofuma ist nicht die einzige Causa, in der wir Gerichtsakten veröffentlicht haben. Der Satz "Wo war mei Leistung", die Scheinrechnungen im Fall Hypo, die Casinos-Chats, die Part-of-the-Game-Affäre, die vielen Geschichten über Polizeibrutalität, Skandale in Haftanstalten und Missbrauchsfälle: All das hätte nie so akribisch und unter Verwendung von Originalzitaten den Weg an die Öffentlichkeit finden können, wenn wir nicht aus Akten zitieren hätten können. "Report on Investigation" (nicht zu verwechseln mit investigativem Journalismus) ist ein wichtiger und vor allem verantwortungsvoller Bereich des Journalismus.
Die ÖVP will uns Medien – und damit auch den Anwälten von Beschuldigten und Opfern – das Recht nehmen, Akten aus dem Vorverfahren zu verwenden. Das ist die Antwort der Volkspartei auf den lebendigen investigativen Journalismus, der derzeit Einblicke in die Ära der türkis-blauen Regierung bietet. Es ist ein durchsichtiges Manöver einer Partei, deren Angehörige und Spin-Doktoren freilich auch gerne vertrauliche Akten, Datensätze oder Protokolle in der Medienszene verteilten. Man denke etwa an die Affäre Faymann/ÖBB oder den Fall Silberstein/Kern.
Nein, Österreich braucht kein Aktenzitierverbot – die deutschen Medien, die ein solches Verbot kennen, leiden darunter und umgehen es dennoch geschickt. Wir brauchen bloß eine andere Kultur im Umgang mit Akten und wir brauchen höhere medienrechtliche Entschädigungsbeträge, wenn der höchstpersönliche Lebensbereich, das Fair-Trial-Prinzip (Unschuldsvermutung) oder berechtigte private Interessen verletzt werden. Medien müssen lernen, dass nicht jede Sicherstellung oder Hausdurchsuchung wie eine Anklage zu bewerten ist. Wenn die Staatsanwaltschaft einen Sachverhalt klärt, dann besteht zwar ein Verdacht, aber eben nicht mehr.
Wichtiger als Verwertungsverbote wäre daher eine genauere Selbstkontrolle und eine bessere Ausbildung von Journalistinnen und Journalisten im Umgang mit Akten. Was spricht dagegen, wenn Staatsanwälte, Richterinnen oder Anwälte entsprechende Schulungen organisieren? Fachhochschulen, Journalismus-Akademien, aber auch die Unis sind gefordert, die rechtsstaatlichen Bildungslücken im Journalismus zu füllen – und die Medienhäuser sollten solche Angebote tunlichst annehmen. Dann können Staatsanwälte ermitteln, Medien präziser berichten und Verdächtige etwas entspannter Leben – sofern sie unschuldig sind.
Einen schönen Abend wünscht
Ihr Florian Klenk
Blicken Sie noch durch, wenn in den Medien vom "Krieg zwischen Politik und WKStA" die Rede ist? Nein? Kein Wunder. Die Nebelgranaten der ÖVP verwirren selbst die klügsten Zeitungen. Zeit für etwas Durchblick: Walter Geyer, der erste Chef der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft hat ihn. In einem großen Gespräch im aktuellen Falter schildert er den ständigen Kampf der Anklagebehörde um Unabhängigkeit.
Vor zwei Wochen war Geyer auch mit der Nationalratsabgeordneten Stephanie Krisper (NEOS) im FALTER-Radio zu Gast. Hier können Sie das spannende Gespräch nachhören.
Eine Pandemie erfordert vielfältige Antworten: gesundheitspolitische, soziale, wirtschaftliche, um nur einige zu nennen. Die Bundesregierung setzte vor allem auf Gefühlspolitik und scheiterte naturgemäß daran, wie Armin Thurnher in seinem Kommentar festhält. Wie erfolgversprechend das neue boulevardjournalistische Projekt des ehemaligen oe24-Chefredakteurs Richard Schmitt ist, hat sich meine Kollegin Barbara Tóth angesehen. Anna Goldenberg hat recherchiert, woran es dem Informationsfreiheitsgesetz mangelt, das uns die Regierung als großen Wurf verkaufen will.
Gerlinde Pölsler hat die Geschichte einer jungen Frau aufgeschrieben, deren Partner sie mit über 50 Messerstichen beinahe ermordet hätte. Die Anwältin des Opfers klagt nun die Republik, denn sie ist überzeugt: Die Tat hätte verhindert werden können.
Hengameh Yaghoobifarah wünschte sich in einem Artikel für die taz die Polizei auf die Mülldeponie und brachte dadurch das deutsche Feuilleton zum Toben: Yaghoobifarah hasst den Kapitalismus, provoziert das Bürgertum und überrascht jetzt mit einem vielschichtigen Romandebüt. Sebastian Fasthuber hat mit der Autorin gesprochen.
Im Interview mit Klaus Nüchtern schildert der Schriftsteller Michael Köhlmeier seine Auffassung von Bildung und seine Erfahrungen mit Lernen und Lehren. Dabei fiel ein ganz besonders schöner Satz: "Kultur braucht man nicht, Kultur muss man wollen", so Köhlmeier. Das ganze Gespräch lesen Sie hier.
"Die Alternative zum Systemwechsel ist eine gar nicht so ferne Zukunft, die vom Krieg um Ressourcen geprägt ist", sagt die Autorin, Aktivistin und Konsumkritikerin Nunu Kaller in der Titelgeschichte der neuen Ausgabe unserer Programm- und Kulturbeilage. Wie dieser Systemwechsel aussehen könnte, beschreibt die Wienerin in ihrem neuen Buch "Kauf mich!", das am 8. März erscheint; was Konsum und Sex verbindet, wie wir noch rechtzeitig vorm Öko-Kollaps die Kurve kratzen und warum sie fürs persönliche Glück keine Chakra-Kette braucht, erklärt sie im großen Interview. Vom Corona-Alltag mit Baby, zu viel Arbeit und zu wenig Nacktheit berichtet die Theaterregisseurin Sara Ostertag, und Stefanie Panzenböck kennt die Details zum Wiener Schaufenster-Konzertprojekt des Musikers Stefan Sterzinger. Dazu Film-, Kunst- und Theatertipps. Beinahe so, als gäbe es dieser Tage ein echtes Kulturleben.
In der neuen Folge von "Scheuba fragt nach..." berichtet der Satiriker Florian Scheuba, wie uns die ministerielle Interpretation von Staatsdienst als Novomatic-Dienst geschätzte 300 Millionen Euro kostet, und spricht mit Sibylle Hamann über die schmale Gratwanderung zwischen Verharmlosung und Hysterie beim Thema "Schulöffnungen".