Treffen sich zwei ...

Stefanie Panzenböck
Versendet am 08.03.2021

...Nobelpreisträgerinnen, so wie vor kurzem die Schriftstellerinnen Herta Müller und Swetlana Alexijewitsch. Bei den Berliner Korrespondenzen sprachen sie im Gorki Theater über ihr Leben in Diktaturen. Vielleicht haben Sie sich dieses eindrückliche Gespräch schon angehört – es ist übrigens hier abrufbar – falls nicht, lassen Sie es sich heute noch einmal empfehlen.

Es sind zwei Heldinnen unserer Zeit, die sich wohl selbst niemals als solche bezeichnen würden. Herta Müller, 1953 geboren, wuchs als Angehörige der deutschen Minderheit in Rumänien auf. Ihr Vater hatte sich im Zweiten Weltkrieg der SS angeschlossen, ihre Mutter war nach 1945 in einem russischen Arbeitslager gefangen gewesen. "Sie hatte ein Gewicht im Nacken", beschreibt sie Müller. "Ich fand sie immer sehr alt." 1965 kam Ceaușescu an die Macht.

Müller wurde immer wieder vom Geheimdienst, der Securitate, bedrängt und bedroht, doch sie lehnte jegliche Zusammenarbeit mit dem Regime ab. In ihrem ersten Buch "Niederungen" (1982) schrieb sie über ihre Kindheit im Banat. Danach hatte sie nicht nur den sozialistischen Staat, sondern auch die deutschtümelnde Landsmannschaft gegen sich.

Swetlana Alexijewitsch, die 1948 in der Ukraine auf die Welt kam, erinnert sich vor allem an die Frauen, die sich am Abend trafen und auf Bänken sitzend über die Männer sprachen, die an der Front waren. "Über den Tod sprachen sie kaum, über die Liebe schon", sagt Alexijewitsch. Später übersiedelte sie mit ihrer Familie in die Sowjetrepublik Weißrussland. Als sie als Kind und Jugendliche das Lesen entdeckte, empfand sie die Geschichten zum Teil als etwas Steriles. Alexijewitsch nahm sich vor, Literatur zu schaffen, die dem adäquat sei, was die Frauen damals auf den Bänken erzählt hatten.

Eines der berühmtesten Bücher der belarussischen Schriftstellerin über den "Homo sovieticus", den sowjetischen Menschen, ist "Tschernobyl. Eine Chronik der Zukunft" (1997). Alexijewitsch interviewte Hunderte Zeitzeugen und formte daraus ein großes Werk. Im Mittelpunkt stehen Menschen, die ihr Schicksal von der Reaktorkatastrophe nicht mehr lösen können.

Beide Frauen leben mittlerweile in Deutschland. Müller reiste 1987 in die damalige BRD aus, Alexijewitsch verließ Belaurs, das seit 1994 von Diktator Lukaschenka regiert wird, vor wenigen Monaten. Sie gehört dem Koordinierungsrat an, der für einen friedlichen Übergang von einem repressiven Regime zur Demokratie sorgen sollte. Seit den Präsidentschaftswahlen im August 2020 ist das Land in Aufruhr. Die Menschen protestieren gegen den Diktator, er nimmt sie gefangen und lässt sie foltern. Alexijewitsch berichtet von Menschen, "die nur noch ein Stück Fleisch" waren und Müller verweist darauf, dass jeder Diktator das Personal hat, das er braucht. Der Westen müsse die Menschen aus Belarus aufnehmen, so lange sie das Land noch verlassen können.

Und was kann die Literatur? "Trösten ohne zu täuschen", sagt Müller.

Ich wünsche Ihnen eine schöne Woche,

Ihre Stefanie Panzenböck


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