Aus dem Leben eines Kritikers - FALTER.maily #1045
Übermorgen erscheint die nächste Ausgabe der FALTER-Buchbeilage. Gerlinde Pölsler (Sachbuch), Kirstin Breitenfellner (Kinderbuch) und ...
vergangenen Sonntag – ich hatte wieder einmal vergessen einzukaufen – machte ich mich auf zum türkischen Greißler am Eck. Doch statt frisch gebackenem Fladenbrot und freundlichem Small Talk erwarteten mich eine versperrte Tür und mit grauem Papier abgedeckte Fensterscheiben. Offensichtlich keine Renovierungsmaßnahme – das Geschäft hatte erst im Sommer eröffnet.
Wieder einer der pandemiebedingt das Handtuch geworfen hat. Gefühlt grassiert der Leerstand derzeit ähnlich wie die Covid-Infektionen. Oder ist das nur subjektives Empfinden? Wie manövrieren all die kleinen Selbstständigen und jene, bei denen das Geld vor Beginn der Pandemie bereits knapp war durch die Krise?
Ein Messinstrument, das üblicherweise einen Hinweis darauf gibt, wie es um die wirtschaftliche Lage der Menschen in Österreich bestellt ist, sind die jährlichen Schuldenreports der ASB Schuldnerberatungen GmbH, der Dachorganisation der staatlich anerkannten Schuldenberatungen Österreichs. Aber nicht in der Coronakrise: Die Zahl der unterstützten Personen ist 2020 im Vergleich zu 2019 um 9,6 Prozent gesunken, die der Erstkontakte sogar um 17,2 Prozent. 7296 Privatkonkurse wurden im Vorjahr eröffnet – um 2199 weniger als 2019. Wie kann das sein?
ASB Schuldnerberatungen GmbH-Chef Clemens Mitterlehner hat eine einfache Erklärung dafür: Die Kredit- und Mietstundungen sowie Zahlungen aus diversen Hilfsmaßnahmen hätten gegriffen. "Im vergangenen Jahr wurden dank der Maßnahmenpakete Firmen durchgetragen, die eigentlich insolvent wären. Bei Privatpersonen wurden Kredite gestundet, die sonst fällig geworden wären."
Doch die wichtigen Maßnahmen, die Selbstständige wie Privatleute durch die Krise bringen sollten, zeigen auch Schattenseiten: Zum einen würden künstlich am Leben erhaltene insolvente Firmen den Markt für gesunde Unternehmen zerstören, indem sie etwa qualifiziertes Personal, das anderswo händeringend gesucht wird, in Kurzarbeit halten, erklärt Mitterlehner. Zum anderen müssen nach dem Auslaufen von Stundungen die Zahlungen wieder aufgenommen werden. Das wird vielen Menschen nicht möglich sein. Und dann? Die Schuldnerberatungen erwarten ab dem kommenden Sommer einen gewaltigen Anstieg an Insolvenzen und jahrelange wirtschaftliche Nachwehen.
Doch was genau steht uns bevor? Diese Frage kann auch Clemens Mitterlehner nicht beantworten. "Es ist peinlich, aber wir wissen nichts über die Überschuldungsquote der österreichischen Bevölkerung." Während in anderen Ländern regelmäßig Daten erhoben werden, verzichtet der österreichische Staat bislang auf jährliche Erhebungen. Die letzten Zahlen stammen aus dem Jahr 2008. Die Schuldnerberatungen können das Ausmaß nur erahnen.
"Wir betreuen rund 70 Prozent der jährlich etwa 10.000 Privatkonkurse in Österreich", sagt Mitterlehner. Die Anzahl der Überschuldeten ließe sich mit Blick auf die deutsche Statistik nur schätzen. In Deutschland beträgt die Überschuldungsquote etwa neun Prozent. "Auf Österreich umgerechnet würde das bedeuten, das rund 500.000 Menschen Mittel zur Entschuldung bräuchten. Diese Menschen leben aufgrund ihrer Schulden am oder unter dem Existenzminimum. Weil also viele Menschen ihre Schulden nicht regeln bzw. nicht regeln können, haben wir als reiches Land auch an die 300.000 armutsbetroffene Kinder."
Denn nichts über das Ausmaß der Verschuldung der Bevölkerung zu wissen, bedeutet auch für die Sozialpolitik Blindflug. Im Sommer könnte die Mischung aus Unwissen und zu erwartendem Anstieg der Privatkonkurse zum Crash führen.
Ihre Birgit Wittstock
Wenn Sie sich zwischendurch einmal vom Nachrichtentropf abhängen und Ihr übersteuertes Gehirn abdrehen wollen, lege ich Ihnen folgenden Arte-Binge ans Herz: die Doku "Viraler Humor", die anhand von Clips, Memes und Co. aus dem ersten Corona-Jahr zeigt, wie wichtig Humor als Bewältigungsstrategie in der Krise ist und die fantastische Geschichte "The Painter and the Thief". Der Dokumentarfilm begleitet die tschechische Malerin Barbora Kysilkova, der zwei Gemälde gestohlen werden und die einen der Diebe, einen suchtkranken, vom Leben gebeutelten Mann ausfindig macht und beginnt, ihn zu malen – ein Lifechanger für beide.
Vollkommen anlasslos, einfach nur weil es ein tolles Interview ist, haben wir diese Woche das Gespräch von Stefanie Panzenböck mit der 94-jährigen Schauspielerin Erni Mangold im FALTER abgedruckt. Mangold spricht über ihre Erfahrungen mit dem Krieg, ihr wildes Leben im Wien der Nachkriegszeit mit ihrem guten Freund Helmut Qualtinger, über das Reisen als Freiheit und die Furchtlosigkeit als Lebenseinstellung. Ein galoppierendes Gespräch mit einer Künstlerin, die sich bis heute kein Blatt vor den Mund nimmt. Lesen Sie das, es macht wirklich Spaß!
Der Impfstunt des Bundeskanzlers hat in Brüssel keinen guten Eindruck hinterlassen. Mittlerweile hat man dort auch vom Casinos-Ibiza-Korruptionsgeflecht Wind bekommen: Die auf EU-Politik spezialisierte Zeitung POLITICO veröffentlichte heute eine vernichtende Bestandsaufnahme des internationalen Standings von Bundeskanzler Sebastian Kurz ("From political wunderkind to rogue operator"). Über Österreichs Reputationsverlust und die angeschlagene EU sprechen im aktuellen FALTER-Podcast mit Raimund Löw auch der EU-Abgeordnete Thomas Waitz (Grüne), Ex-Agrarkommissar Franz Fischler, die Journalistin Tonia Matrobuoni (La Repubblica) und Wolfgang Böhm (Die Presse) von der Presse.
Einkaufen, Dating, Informationsgewinn: Technologie durchdringt unser aller Leben auf vielfältige Art und Weise. Solange Technologe politisch ein Randthema bleibt, entzieht sie sich jedoch dem demokratischen Diskurs, argumentiert der Politologie Lukas Schlögl im FALTER Think-Tank, eine Kooperation mit der Universität Wien. Also: Let's talk Tech!
Nachdem es diesen April gefühlt öfter geschneit hat als den gesamten Winter über, ist es schwer zu glauben, aber: Am Wochenende soll es mild und sonnig werden. Wenn Ihnen die Erholungsgebiete im Wiener Ballungsraum zu voll sind, versuchen Sie es mit dem Nationalpark Donau-Auen. Ein im Falter Verlag erschienener Führer begleitet Sie zu Menschen, Tieren, Pflanzen und Gewässern der verschlungenen Auen zwischen Wien und Bratislava, Wandertipps inklusive. Mit ein bisschen Glück können Sie dort am Wochenende ein richtiges Frühlingserwachen miterleben!