Es gibt schon wieder eine Kurz-Doku - FALTER.maily #1197
Hierzulande liegen Satire und Realität eng beieinander. Die Kurz-Film-Posse ist so ein Beispiel. Nachdem die Produktionsfirma eines PR-Films ...
der deutsche Soziologe Heinz Bude ist nicht nur der bestgekleidete Intellektuelle Deutschlands, sondern auch ein eloquenter Gesprächspartner und kluger Kopf, weswegen er nicht nur einen Auftritt im jüngsten Essayband von Franz Schuh hat, sondern im/vom Falter ganz gerne zitiert und interviewt wird – wie zum Beispiel vor fünf Jahren zum Thema "Stimmungen". In einem dieser Gespräche hat er einmal angemerkt, dass er zur Prime Time nie ins Fernsehen gehe, denn das sei für den Ruf als ernsthafter Intellektueller absolut ruinös.
So gesehen ist Richard David Precht wohl der Prime-Time-Philosoph Deutschlands. In manchen Kreisen – und das hat jetzt nichts mit Heinz Bude zu tun – gehört es nachgerade zum guten Tonen, jemand wie Precht als simplifizierenden Populisten, Schnittlauch auf allen Suppen und eitlen Medienprofi zu verachten. Ich finde das doof und dünkelhaft, zumal die Verächter:innen oft mitschwingen lassen, dass sie sich dieser Rolle verweigern – obwohl ihnen niemand ein Angebot gemacht hat.
Es sei dahingestellt, ob es sich dabei um das bekannte Fuchs-und-Saure-Trauben-Syndrom handelt, und man muss Precht auch nicht mögen, wird ihm aber vielleicht zubilligen, dass er in seinem Fach schon ziemlich gut ist. Ich war dabei, als Precht 2004 am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb teilnahm. Sein Beitrag wurde durchaus kontrovers diskutiert, ging aber auch nicht unter. Die literarische Karriere aber verlief vermutlich nicht ganz so wie gewünscht, also sattelte Precht um und legte drei Jahre später ein philosophisches Sachbuch mit dem pfiffigen Titel "Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?" (2007) vor, das ein veritabler Bestseller wurde. Sowas nötigt das schon auch Respekt ab.
Vor wenigen Wochen hat Precht wieder ein Buch veröffentlicht. Es betitelt sich "Von der Pflicht", zeigt eine FFP2-Maske auf dem Cover und stürmte selbstverständlich sofort die Charts. Darin macht sich der Autor Gedanken über das wachsende Misstrauen gegenüber dem Staat und prägt den Begriff der "Entpflichtung". Um dieser entgegenzuarbeiten, setzt Precht, wie er in einem Interview mit dem Standard erklärt, auf ein bekanntes Pferd und – auf allgemein verpflichtenden Sozialdienst: "Bildung ist nie schlecht. Und ich schlage zwei soziale Pflichtjahre vor. Nicht als Allheilmittel, aber: Jemand, der ehrenamtlich engagiert ist, der sich um andere kümmert – und damit ja auch etwas zurückbekommt an Bestätigung und Selbstwirksamkeitserfahrung –, solche Leute neigen eigentlich nicht dazu, sich zu entsolidarisieren. Deshalb: zwei soziale Gesellschaftsjahre für jeden – eines nach der Schule und eines in der Pension."
"Ask not what your country can do for you, ask what you can do for your country", meinte schon John F. Kennedy in nicht ganz astreinem Englisch in seiner Antrittsrede vom Jänner 1961. Es liegt mir fern, mich über ein solches Ethos des Gemeinwohls lustig zu machen, und ich hätte vielleicht auch nichts dagegen, nach dem Zivildienst in der Großküche eines Altersheims in absehbarer Zeit auch noch einmal ein Sozialjahr anzuhängen.
Ich halte Prechts Ansatz allerdings für reichlich blauäugig und anmaßend. Statt zusätzlicher didaktischer Handreichungen – wir müssen den verpeilten Coronaleugnern jetzt noch ein bisschen Ethikunterricht angedeihen lassen – sollten wir uns lieber darum kümmern, dass Solidarität nicht bloß von wohlmeinenden Privilegierten vorordnet, sondern gegenüber jenen praktiziert wird, die ihrer am dringendsten bedürfen. Warum sollten sich Menschen, die stets ganz hinten in der Schlange anstehen und erleben musste, wie die anderen vorbeigewunken wurden, den Kopf darüber zerbrechen, was sie jetzt zum Wohle der Gemeinschaft beitragen können?
Wenn Precht – wie zuletzt auch im Skype-Chat mit dem "Kulturmontag" – anprangert, dass sich "in unserer Gesellschaft" eine verpflichtvergessene und egofixierte Abgreifermentalität breitgemacht hätte, dann übersieht er, dass auch die Chancen und Gelegenheiten, sich auf Kosten anderer zu bereichern, recht ungleich verteilt sind und die wenigsten in die Lage kommen, sich von Glücksspielkonzernen bestechen zu lassen oder schnell einmal die Republik zu verscherbeln. So gesehen hatte Maggie Thatcher – gegen ihre Intention – sogar ein bisschen recht: "There's no such thing as society"; vielmehr gibt es jenes Ensemble an Herrschafts-, Macht- und Produktionsverhältnissen, die wir Gesellschaft nennen. Gerechter gestalten können wir sie allemal. Let’s Do It!
Ihr Klaus Nüchtern
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