Ich hatte einen Traum - FALTER.maily #519

Florian Klenk
Versendet am 18.05.2021

vergangene Woche war ich über meinen Akten eingenickt. Mir träumte, Sebastian Kurz würde seinen oft beschworenen "neuen Stil" wirklich leben und sich wenigstens jetzt in dieser historischen Krise wie ein Staatsmann benehmen und nicht wie ein ertappter Strolch. Er würde anders handeln als all die alten ÖVP-Politiker, die er ablöste. Anders als Strasser oder Grasser oder Waldheim. Ich stellte mir vor, er würde das machen, was Juristen im modernen Strafrecht "Verantwortungsübernahme" nennen.

Meine Phantasie ging so: Kurz studiert jene 58 Seiten, in denen ihm die WKStA akribisch nachweist, dass er vor dem parlamentarischen U-Ausschuss die Unwahrheit sagte. Er engagiert dann nicht irgendwelche Privatgutachter, die ihm – gegen Bezahlung – einen Persilschein ausstellen, sondern er stellt sich der Realität und hält eine Ansprache.

"Sehr geehrte Volksvertreter und Volksvertreterinnen", würde Kurz in meinem Traum sagen,"ich habe einen Fehler gemacht. Ich habe Sie, den Souverän, angeschwindelt. Ich habe Ihre Fragen nicht korrekt beantwortet, obwohl ich dazu verpflichtet bin. Ich habe Ihnen über meine Rolle im Bestellungsprozess der ÖBAG die Unwahrheit gesagt. Ich habe das nur getan, um meine eigene Rolle in diesem üblen Postenschacher zu verbergen".

"Sehr geehrte Abgeordnete", sagt Kurz in meinem Traum weiter, "ich möchte jetzt reinen Tisch machen, denn es ist jetzt nicht die Zeit für taktische Spielchen, nicht die Zeit für Justizbashing und Intrige. Und es ist nicht die Zeit für Neuwahlen oder Koalitionsstreit. Heute, nach Lektüre der Chats und nach Auffliegen des Ibiza-Videos, weiß ich, dass Postenschacher und intransparente Politikfinanzierung unserer Republik und dem Wirtschaftsstandort Österreich schaden. Vor allem der Terroranschlag, mitverursacht durch die Inkompetenz eines von Parteibuchwirtschaft zerfressenen Geheimdienstapparates, lehrte mich Demut. Daher werde ich diese Unsitten beenden. Das habe ich versprochen. Und so werde ich der WKStA eine Bußgeldzahlung anbieten und politische Konsequenzen ziehen. Nein, ich werde nicht zurücktreten, aber ich werde etwas anderes tun. Ich werde die Kriminalisierung der Parteibuchwirtschaft umsetzen, ein entsprechender Entwurf der Liste Pilz, der ehemaligen politischen Heimat unserer grünen Justizministerin Alma Zadić, liegt schon vor. Den bringt meine Fraktion jetzt ein. Dann werde ich der WKStA bitten, einer Diversion zuzustimmen und das Verfahren einzustellen, so wie es das Gesetz vorsieht."

Die WKStA nahm das Angebot an, man schüttelte einander die Hände und der Fall wurde geschlossen. Alle hatten profitiert. Die Republik. Die Justiz. Und Kurz. Der Rechtsfrieden war wiederhergestellt.

Dann wachte ich aus meinem Schlummer auf, ein Geruch hatte mich geweckt. Ich hatte meinen auf dem Markt gekauften Fisch in diese Ausgabe der Kronenzeitung eingewickelt. Er fing beim Kopf zu stinken an.

Ihr Florian Klenk


Nachlese

Haben Sie im Fall Sebastian Kurz den Überblick verloren? Hier haben wir alles übersichtlich zusammengefasst. Hier erkläre ich den Fall im Gespräch mit Raimund Löw. Und hier können Sie die Originaldokumente lesen: Die Anzeige der WKStA oder das U-Ausschuss-Protokoll von Kurz. Falter-Politikchefin Eva Konzett erklärt Ihnen in diesem Text und diesem Video, was diese ÖBAG eigentlich ist.


Das Schöne

"Alles muss raus!", sagt unser Gastro-Kritiker Florian Holzer. Pünktlich zum Ende des Lockdowns verrät er Ihnen die schönsten Gastgärten Wiens. Holzer rief mich vergangene Woche übrigens nach diesem Talk mit dem Chef der Schweinebörse an und verkündete etwas Neues. Er werde fortan in den Beisl-Kritiken immer dazu schreiben, woher die Restaurants ihr Fleisch beziehen. Warum wir da nicht schon früher draufgekommen sind.


Linktipp

War bei Holzers Lokaltipps nichts für Sie dabei? Wir haben noch mehr auf Lager: Das beste Essen und die nettesten Bars der Stadt finden Sie kinderleicht mit der brandneuen "Wien, wie es isst"-App. Hier gehts zum Download für Ihr Smartphone, hier gibt es den Gastroführer aus dem Falter Verlag auch als Druckwerk.


Falter Woche

Morgen sperrt Österreich wieder auf – und doch hat dann längst nicht alles geöffnet. Das Literaturfestival "Rund um die Burg" etwa findet am 21. und 22. Mai nur online statt; unter anderem werden Silvia Pistotnig und Daniel Wisser aus ihren neuen Büchern lesen. Sebastian Fasthuber hat die Autorin und den Autor für unsere Kultur- und Programmbeilage zum Doppelinterview getroffen.

Die Kinos nehmen den Betrieb zumindest teilweise wieder auf, welche Filme starten, wissen Michael Omasta und Sabina Zeithammer. Unsere Kunstexpertin Nicole Scheyerer führt ihre Serie "Atelierbesuche" fort, diesmal porträtiert sie Liesl Raff. Die Reihe "Aus meiner Festung" wiederum endet nach einem halben Jahr Kultur-Lockdown; zum Abschluss berichtet die Musikerin und Theaterregisseurin Anna Marboe in einem launigen Text von ihrem Alltag unter Pandemiebedingungen.


Noch Eine Empfehlung

Vor zwei Jahren ist Heinz-Christian Strache zurückgetreten. Das war etwa 12 Stunden nachdem SZ, Spiegel und Falter das Ibiza-Video veröffentlichten. Ich hatte – so wie Kurz – das Vergnügen, vor dem U-Ausschuss darüber zu sprechen. Alle Details zum Ibiza-Video habe ich – unter Wahrheitspflicht – den Abgeordneten hier verraten. Am Sonntag, den 29. Mai, werde ich auch öffentlich über Korruption sprechen. Im Theater im Park in Baden mit dem Kabarettisten Florian Scheuba. Ich erzähle eigentlich nur, was in den Akten steht, aber die Leute beginnen dann sehr zu lachen. Schauen Sie vorbei!


Gut

Und noch eine kleine Werbung in eigener Sache. In Wien eröffnet demnächst ein ziemlich lässiges Hotel, die "Superbude". Warum ich Ihnen das hier mitteile? Weil die Superbude ein "Falter-Zimmer" eingerichtet hat. Neben zahlreichen Archiv-Ausgaben stehen auch Bücher und Zeitschriften aus dem Falter Verlag bereit. Schauen Sie sich das an: Hier geht es zum Falter-Zimmer.


Noch Ein Hinweis

Der Faltershop – unser Onlineshop für Bücher, Musik und Filme – wurde renoviert und erstrahlt in neuer Frische, auf der Startseite finden Sie von nun an ein "Buch des Tages" sowie die aktuell im Falter rezensierten Bücher. Wie Benedikt Narodoslawsky auf Twitter schon richtig sagte: Jetzt kann Jeff Bezos einpacken!


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