Gratulation, Maria Windhager! - FALTER.maily #539

Nina Horaczek
Versendet am 14.06.2021

vergangenen Freitag konnte man im Festsaal des Justizpalastes (wo der Oberste Gerichtshof aufgrund der wegen Corona nötigen Abstände derzeit verhandelt) direkt hören, wie Medienanwältin Maria Windhager schwere Steine vom Herzen fielen. Nach sechs Jahren Kampf gab ihr das Höchstgericht recht: Es ist ein Unrecht und rechtswidrig, dass KZ-Überlebende in Österreich als "Landplagen" beschimpft wurden und die Justiz sie nicht vor diesen Beschimpfungen schützte.

Im August 2015 stand in der rechtsextremen Zeitschrift Aula, die damals dem Freiheitlichen Akademikerverband gehörte, dass die 1945 befreiten Gefangenen des Konzentrationslagers Mauthausen "Landplagen" und "Kriminelle" gewesen seien, die "raubend und plündernd, mordend und schändend" das "unter der 'Befreiung' leidende Land" geplagt hätten.

Windhager stellte im Auftrag des damaligen grünen Abgeordneten Harald Walser Anzeige gegen die Aula. Doch die Staatsanwaltschaft Graz stellte das Verfahren ein. Es sei "nachvollziehbar, dass die Freilassung mehrerer Tausend Menschen aus dem Konzentrationslager Mauthausen eine Belästigung für die betroffenen Gebiete Österreichs darstellte", lautete die Begründung der Staatsanwältin. Auch eine weitere Anzeige beim Straflandesgericht Graz blieb erfolglos.

Die Anwältin gab nicht auf. Gemeinsam mit den Grünen suchte sie nach KZ-Überlebenden und erreichte im Namen von neun ehemaligen KZ-Insassen 2017 beim Zivilrecht Graz eine einstweilige Verfügung, die der Aula verbot, diese Beleidigungen zu wiederholen.

Das reichte Windhager aber nicht. Sie zog bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der ihr schließlich recht gab. "Österreich nach Klage von Holocaust-Opfer verurteilt", lauteten im Oktober 2019 die Schlagzeilen. Mit dieser Entscheidung des Menschenrechtsgerichtshofs im Gepäck versuchte Windhager, in Österreich eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu erreichen – ohne Erfolg. Mittlerweile war der Grüne Walser in Polit-Pension und Eva Blimlinger, die grüne Nationalratsabgeordnete und Sprecherin für Vergangenheitspolitik ist, die neue Verbündete der Anwältin.

Schließlich gelang es Windhager, die Generalprokuratur von einer sogenannten "Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes" zu überzeugen. Vorigen Freitag verhandelte schließlich der Oberste Gerichtshof den Fall. Nach sechs Jahren harter Arbeit bekam Windhager vom Höchstgericht endlich die Bestätigung: Die Grazer Rechtsentscheidungen in Sachen Aula seien "rechtsfehlerhaft" und wiesen "schwerwiegende Begründungsdefizite" auf. Damit kann der Fall aber weder neu aufgerollt werden, noch gibt es eine Entschädigung für die Kläger.

Trotzdem ist diese Feststellung einer Gesetzesverletzung durch den OGH ein wichtiger symbolischer Sieg – aber leider einer, den vier der neun Kläger nicht mehr erleben durften. Deshalb möchte ich hier noch kurz an sie erinnern.

Ljubomir Zečević wurde als Schüler Mitglied der kommunistischen Jugend Jugoslawiens. 1943 wurde er ins KZ Mauthausen verschleppt. Nach der Befreiung ging er zurück nach Belgrad und wurde Direktor von Radio Television Belgrad. Er starb am 12. Mai 2017.

Rudolf Gelbard war zwölf Jahre alt, als er 1942 mit seinen jüdischen Eltern ins KZ Theresienstadt deportiert wurde. 19 seiner Familienmitglieder wurden von den Nazis ermordet. Zeit seines Lebens kämpfte Gelbard gegen den Faschismus und besuchte als Zeitzeuge Schulen. Er starb am 24. Oktober 2018.

Pavel Branko wurde als Student in der damals klerikalfaschistischen Slowakei, die mit den Nazis kollaborierte, inhaftiert. Im Februar 1945 verschleppte ihn die Gestapo ins KZ Mauthausen. Nach 1945 wurde er ein bekannter Filmkritiker. Er starb am 1. August 2020.

Aba Lewit wurde 1940 in Polen als Jude von den Nazis in Arbeitslager verschleppt, darunter jenes berüchtigte Lager, in dem der Österreicher Amon Göth Kommandant war. Diesem bestialischen Kriegsverbrecher habe sein Frühstück nur geschmeckt, wenn er zuvor "acht, neun Juden umgebracht hat", sagte Lewit einmal über Göth. 1943 wurde Lewit von Polen ins KZ Mauthausen deportiert. Nach seiner Befreiung ließ er sich in Wien nieder, wo er am 16. November 2020 starb.

Ihre Nina Horaczek


Kolumne

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Erratum

Am Freitag berichteten wie Ihnen im Maily #537 von der Einrichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft (kurz: EPPO), setzten die neue Behörde allerdings fälschlicherweise nach Straßburg statt nach Luxemburg. Wir bedauern.

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