Bei Bachler - FALTER.maily #570

Florian Klenk
Versendet am 20.07.2021

Ich hoffe, dieses Maily erreicht sie noch rechtzeitig, fast hätte ich heute vergessen, Ihnen zu schreiben. Aber ich bin heute etwas durcheinander. Ich bin sehr früh aufgestanden, um in die Steiermark zu fahren, zu Christian Bachler, dem Wutbauern, der mich einst auf Facebook beschimpfte, zu einem Praktikum einlud und mir dort die Augen für Klimawandel, Tierwohl und die Agrarwende öffnete. Seinen überschuldeten Hof retteten später 10.000 Menschen mit einer großen Spendenaktion.

Es ist jedes Mal eine Freude, mit der Murtalbahn nach Murau und von dort in die Krakau ruckeln. Ja, ein bisschen Bammel hatte ich auch, denn der abgeranzte Dieselzug ist kürzlich in die Mur gefallen und schon einmal ausgebrannt. Die steirischen Landespolitiker sparen diese phantastische Lokalbahn offenbar kaputt. Was für ein Irrtum.

Ich sitze jetzt also auf Bachlers Bergerhof auf 1450 Meter Seehöhe, der Blick Richtung Preber. Unter meinem Fenster grunzen die Alpenschweine, eine spezielle Rasse, die bis zum Ersten Weltkrieg die hier vorherrschende Schweinerasse war. Die Alpenschweine, erzählt mir Bachler, trinken Molke und halten es im Winter lange draußen aus. Aber in der Not der Zwischenkriegszeit durften sie nicht gezüchtet werden, weil sie zu langsam Fleisch ansetzen. Für die Bekämpfung der Hungersnot der Zwischenkriegszeit waren sie nicht brauchbar. So sattelten die Bauern auf jene Schweine um, "die draußen Sonnenbrand bekommen" (Bachler).

Warum bin ich hier? Weil ich eine Reportage über Bachlers Leben nach dem Spendensturm schreiben will, gerade ein Buch über ihn fertiggestellt habe und weil ich mit dem Filmemacher Kurt Langbein und seinem Team auch einen Kinofilm über seine Lebensgeschichte drehe. Ich halte den Bergbauern für einen der spannendsten Landwirte der Republik. Mit enormen Wissen, kernigem Humor und Schlagfertigkeit schafft er es, die großen Fragen des 21. Jahrhunderts rund um seinen Hof aufzuwerfen. Wie sollen Bauern wirtschaften? Woher kommen unser Fleisch und unsere Milch? Wieso schuften viele Bauern so hart und kommen doch kaum über die Runden? Und wie werden Regionen überleben, wenn Bauern sterben?

Ich könnte Bachler stundenlang zuhören. Aber auch seiner Mutter Maria, die allen Spenderinnen und Spendern von ganzem Herzen dankt. Die letzten 20 Jahre, so erzählt sie, habe die Schuldenlast ihr Leben bestimmt. "Man wird stumm", sagt sie. Jetzt hat sie ihre Stimme wieder. Sie stellt mir gerade einen wunderbaren Alpenschwein-Schweinebraten hin. Dazu rotes Zirbengelee, dessen Rezeptur sie mir nicht verrät. Sie entschuldigen, aber ich muss jetzt aufhören.

Ihr Florian Klenk


Empfehlung

Die Verdichtung der Böden, die Versiegelung, der Flächenfraß, der CO2-Ausstoß: All das, worum es Bachler geht, verändert unser Klima und damit auch unser Wetter. Südwestdeutschland, aber auch Österreich haben das vergangene Woche gespürt. Wir haben im Falter dazu einige Texte recherchiert. Benedikt Narodoslawsky, der ein eigenes Natur-Ressort im Falter gegründet hat, schreibt den dieswöchigen großen Kommentar. Martin Staudinger berichtet aus dem überschwemmten Hallein. Und gemeinsam mit Staudinger habe ich den Zeit-Journalisten Bernd Ulrich interviewt, weil wir wissen wollten, wie die Flut gerade den deutschen Wahlkampf verändert. Eva Konzett wiederum sprach mit dem Ökonomen Gabriel Felbermayr darüber, was von der europäischen CO2-Steuer zu halten ist.


Worüber Wir Reden Sollten

Eine der schwierigsten Entscheidungen eines Chefredakteurs ist das Cover. Womit wollen wir unser Heft am Kiosk verkaufen? Diesmal hatten wir drei Optionen. Ein von einer Schlammwelle begrabenes Auto mit der Zeile "Die neue Normalität"? Oder Pamela Rendi-Wagner und Hans-Peter Doskozil mit Schimpf-Sprechblasen? Robert Misik hat den Konflikt innerhalb der SPÖ hier erklärt. Ich habe mich letztlich für die Reportage von Birgit Wittstock über den Kampf von Anrainerinnen und Anrainern gegen die von SPÖ-Stadträtin Ulli Sima geplante Markthalle am Naschmarkt-Parkplatz entschieden. Wittstocks Geschichte zeigt exemplarisch, wie sich Bürgerinnen und Bürger dafür einsetzen, dass eine heute als Autoabstellfläche genutzte Zone nicht für Kommerz genutzt wird, sondern als Erholungsort. Der Kampf um den Platz ist auch ein Lehrstück in Sachen direkte Demokratie. Die Stadt Wien wäre gut beraten, den protestierenden Anrainerinnen und Anrainern zuzuhören, anstatt über ihre Anliegen drüber zu fahren. Sie sind alle gegen die Halle. Mit guten Argumenten und sehr originellen Mitteln.


Skandal Der Woche

Ein besonderes investigatives Gustostück liefert Eva Konzett im Politik-Ressort. Sie traf den Chef der Austrian Business Agency, einer 100% Tochter des türkis regierten Wirtschaftsministeriums. Der Mann trat soeben in den Ruhestand und legt in dieser Reportage schonungslos und akribisch offen, wie unter Ministerin Margarete Schramböck Günstlingswirtschaft, Inkompetenz und Schiebereien den Alltag prägen.


Film

Die Schauspielerin Verena Altenberger wird derzeit für ihre feministische Neuinterpretation der Buhlschaft im Jedermann bei den Salzburger Festspielen gefeiert. Wer nicht vor hat, sich unter die Bussi-Bussi-Festspielgesellschaft zu mischen, kann sich auch ganz unfrisiert in einen dunklen Kinosaal knotzen und dort Altenberger bei der Arbeit bewundern: Die österreichische Tragikomödie "Me, We" mit Verena Altenberger in der Hauptrolle läuft ab 23.07. in den Kinos. Sabina Zeithammer hat für den aktuellen Falter mit dem Regisseur David Clay Diaz gesprochen.


Falter Woche

Seit 2010 feiert das Popfest Wien einmal jährlich die alternative österreichische Musikszene auf dem Karlsplatz, bei freiem Eintritt und mit rund 60 Programmpunkten an vier Tagen. Im Ausnahmezustand des Jahres 2020 ist die große urbane Party auf vier Konzerte geschrumpft, der Rahmen intim und mit strengem Hygienekonzept. Heuer kehrt das Musikfestival von 22. bis 25. Juli wieder in beinahe regulärer Form zurück, die großen Konzerte finden aber in der Erdberger Arena statt. Das Programm haben die Rapperin Esra Özmen und der Musiker Herwig Zamernik zusammengestellt, in der Titelgeschichte unserer Programm- und Kulturbeilage sprechen sie über eigene erste Bühnenerfahrungen als Teenager, über Musikbuchhalter, Rebellen der Liebe und das gegenwärtig größte Poptalent des Landes. Wer Konzertbesuch und Sommerfrische verbinden möchte, ist dieser Tage in Niederösterreich gut aufgehoben, wir haben Tipps für Sie zusammengestellt. Und Petra Sturm war im Archiv des ASKÖ und hat tolle historische Aufnahmen der Wiener Arbeiterolympiade 1931 mitgebracht, die wir in unserer Fotostrecke Leuchtkasten präsentieren.


Das FALTER-Abo bekommen Sie hier am schnellsten: falter.at/abo
Wenn Ihnen dieser Newsletter weitergeleitet wurde und er Ihnen gefällt, können Sie ihn hier abonnieren.
Weitere Ausgaben:
Alle FALTER.maily-Ausgaben finden Sie in der Übersicht.

12 Wochen FALTER um 2,17 € pro Ausgabe
Kritischer und unabhängiger Journalismus kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit einem Abonnement!