Es gibt schon wieder eine Kurz-Doku - FALTER.maily #1197
Hierzulande liegen Satire und Realität eng beieinander. Die Kurz-Film-Posse ist so ein Beispiel. Nachdem die Produktionsfirma eines PR-Films ...
der Beschuldigte Sebastian Kurz bekommt vom grün regierten Justizministerium eine Extrawurst gebraten. Anders als alle anderen Politiker, die in den letzten 13 Jahren von der WKStA verfolgt worden waren - darunter ehemalige Innenminister, Vizekanzler, Finanzminister, Landeshauptleute oder Landesräte - wurde dem Bundeskanzler von Justizministerin Alma Zadić das Privileg eingeräumt, in seinem Strafverfahren nicht von den ermittelnden und in den Fall eingearbeiteten Staatsanwälten einvernommen zu werden, sondern von einem in der Sache nicht kundigen Haft- und Rechtsschutzrichter.
Das ist eine von der grünen Justizministerin zu verantwortende Abkehr von der Praxis, eine Zwei-Klassen-Justiz und eine Verschwendung von Ressourcen obendrein, sagen die Kritiker dieser Entscheidung. Der ÖVP-Abgeordnete Andreas Hanger hingegen jubelt: "Endlich sieht auch das Justizministerium die Notwendigkeit auf eine Vernehmung durch einen unabhängigen Richter anstatt der WKStA. Dass das Justizministerium nun anordnet, Bundeskanzler Kurz von einem Richter vernehmen zu lassen, ist ein mehr als klares Signal in Richtung der Staatsanwaltschaft."
Was also stimmt? Die Republik Österreich leistet sich eine Anklagebehörde, die monatelang Chats und Akten liest, einen Vorhabensbericht gegen den Bundeskanzler wegen falscher Zeugenaussage ausarbeitet, ein beispielloses Dirty Campaigning aushält und die Ministerin überträgt dann die Sache an einen Richter, der diesen Wissensstand natürlich nicht haben kann und sich erst aneignen muss.
Das nützt dem Bundeskanzler, denn der Richter hat den Akt nicht in der Weise memoriert wie die ermittelnden Ankläger, die monatelang damit arbeiten. Zadić handelt wie die Chefredakteurin eines Nachrichtenmagazins, die ein Investigativteam monatelang recherchieren lässt, aber dann das entscheidende Interview mit dem verdächtigen Politiker einem Kollegen aus dem Sportressort überträgt. Natürlich wird es einen Qualitätsverlust geben.
Warum macht Zadić das? Die formale Antwort: weil es so in der Strafprozessordnung steht. Die Staatsanwaltschaft "hat die gerichtliche Beweisaufnahmen zu beantragen, wenn an solchen wegen der Bedeutung der aufzuklärenden Straftat und der Person des Tatverdächtigen ein besonderes öffentliches Interesse besteht". So steht es im Paragraf 101 StPO. Man könnte auch einwenden, die Ermittlungen sollen besonders "angriffsicher" gemacht werden, weil Kurz ja die WKStA ständig diskreditiert habe. Wenn es zu einer Anklage kommt, kann er sich nicht beschweren, dass ihn die WKStA wie wild verfolgt hätte.
Aber: damit hätten es Beschuldigte in der Hand, ihre Ermittler wegzuschießen. Man muss nur laut und aggressiv genug die Behörden attackieren.
Bislang wurde der Paragraf 101 StPO jedenfalls nicht angewandt. Er wurde nur herangezogen, wenn Staatsanwälte gegen Staatsanwälte ermitteln, etwa im Fall Kampusch (wo mehrere Ankläger in Verdacht gerieten) oder in der Affäre des suspendierten Sektionschefs Christian Pilnacek. Politiker hingegen wurden stets von der Spezialanklagebehörde WKStA einvernommen. Sie wurde ja dafür geschaffen, das Verfahren gegen Politiker zu führen. So war das bisher Usus.
Zadić weicht davon ab und öffnet damit das Tor für eine Politikerjustiz. Der Kanzler kann sich sein Gegenüber aussuchen, der Normalbürger nicht. Kurz fühlt sich nun in seiner Kritik bestätigt und legt nach: die WKStA müsse sich, so wie seinerzeit die Kirche in der Affäre Groer, Kritik gefallen lassen, schob der Kanzler am Wochenende nach. Vergleicht der Regierungschef Staatsanwälte jetzt mit pädophilen Priestern? Was für eine perfide Frechheit. Meine Wette: In Kürze stellen Oberstaatsanwaltschaft Wien und das BMJ das Verfahren gegen ihn wegen mangelndem Vorsatz ein.
Haben Sie einen schönen Abend!
Ihr Florian Klenk
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