Je suis SPÖ - FALTER.maily #1050
Bevor China die schlimmsten Seiten von Kommunismus und Kapitalismus zur Nationalphilosophie erhob, gab es dort einige interessante Denker. Huainanzi ...
vielleicht haben Sie es mitbekommen: Gerade wird wieder heftig über das N-Wort diskutiert. Anlass war ein Tweet der grünen deutschen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. In einem Interview hatte sie beim Nacherzählen eines rassistischen Vorfalls das Wort benutzt, und sich vergangene Woche, noch vor Ausstrahlung des Gesprächs, dafür entschuldigt: „Das war falsch und das tut mir leid”, twitterte sie. „Denn ich weiß ja um den rassistischen Ursprung dieses Wortes und die Verletzungen, die Schwarze Menschen unter anderem durch ihn erfahren.“
Viele fanden Baerbocks Entschuldigung gut, andere stießen sich daran. Die Angelegenheit zeuge von einer “Sprachradikalität”, schrieb beispielsweise Stefan Kornelius, Politikressortleiter der Süddeutschen Zeitung. Man müsse die Dinge beim Namen nennen dürfen; er verglich den Umgang mit dem Wort mit jenem mit Harry Potter-Bösewicht Lord Voldemort, dessen Name in der Fantasywelt nicht genannt werden darf, weil er sonst seine Feinde aufspüre.
Doch Rassismus ist kein magischer Fluch, den ein mutiger Halbwüchsiger mit Superkräften besiegen kann (schön wär’s!) – sondern ein jahrhundertealtes, von Menschen gemachtes und tief in der Gesellschaft verankertes Konstrukt. Er wird nicht, wie die Gefahr durch Lord Voldemort, totgeschwiegen. Im Gegenteil, viele Betroffene reden aktuell mit, wie man ihn am besten bekämpft. Sie sind es, die Dinge beim Namen nennen. Zu ihren Forderungen zählt: Die Benutzung des N-Worts soll ausschließlich Schwarzen Menschen vorbehalten sein. Weil das Wort eine Waffe ist, die historisch gegen sie verwendet wurde und wird, die sie nun selbst kontrollieren wollen.
Bleibt die Frage: Brauchen wir das Wort, um uns vernünftig mit Rassismus zu beschäftigen? Ich denke nicht. Wer das glaubt, unterschätzt das Ausmaß, in dem Rassismus in unserer Gesellschaft präsent ist. Das Schimpfwort ist wahrlich nur die Spitze des Eisbergs.
Wenn wir Rassismus bekämpfen wollen, gibt es genug andere Dinge, die wir beim Namen nennen können, ohne Betroffene zu verletzen.
Einen schönen Abend wünscht
Ihre Anna Goldenberg
Über das Thema, wie mächtig Sprache ist, wer bestimmen darf, was gesagt werden soll und was nicht, debattieren wir intern oft recht heftig. In der Redaktion sind durchaus unterschiedliche Meinungen vertreten. Die vielen Forderungen zugrunde liegende Idee der Identitätspolitik sieht mein Kollege Matthias Dusini beispielsweise kritisch, Kolumnistin Melisa Erkurt hingegen steht ihr positiv gegenüber. Im März diesen Jahres widmeten wir zudem dem Daueraufreger Gendern einen, finde ich, gelungenen, umfassenden Schwerpunkt.
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