Causa Chorherr

Birgit Wittstock
Versendet am 06.08.2021

das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Eine Binsenweisheit, von der wohl auch Christoph Chorherr ein Lied singen kann, denn der ehemalige grüne Gemeinderat und Planungssprecher stolperte über die fragwürdige Umsetzung seiner guten Intentionen: seit bereits fast vier Jahren ermittelt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) wegen des Verdachts des Missbrauchs der Amtsgewalt, Bestechung und Bestechlichkeit gegen ihn. Nun, so berichtete die Presse gestern, habe die WKStA in ihrem Vorhabensbericht an die Oberstaatsanwaltschaft Wien die Anklage von zehn Personen beantragt – die Verdächtigen: Chorherr sowie neun Immobilienunternehmer. Ob es tatsächlich zur Anklage kommen wird, das Verfahren eingestellt oder die Sache – wie kürzlich von Chorherr selbst beantragt – via Diversion geregelt werden wird, entscheidet nach der Überprüfung durch die Oberstaatsanwaltschaft letztlich die grüne Justzministerin Alma Zadić. Ihr wird es obliegen, den Verdacht eines Korruptionsfalles, der die sauberen Grünen betrifft, unabhängig klären zu lassen.

Zur Erinnerung: Chorherr war neben seiner politischen Tätigkeit Obmann des 2004 von ihm gegründeten Vereins s2arch, der sich mittels der Initiative Ithuba für bessere Bildungschancen von Kindern in Südafrika einsetzt. Das Prinzip des Vereins: Architekturstudenten bauen dort Schulen, Spender und die öffentliche Hand zahlen. Und hier liegt der Kern des Problems, denn zum einen hat Chorherr im Wiener Gemeinderat mehrmals für die Vergabe öffentlicher Fördergelder an Ithuba gestimmt. (Die Stadt Wien – also die öffentliche Hand – förderte den Verein über die Jahre mit insgesamt mehr als einer halben Million Euro.) Zum anderen kamen dem Projekt private Spenden aus den Taschen der größten Immobilienentwickler Österreichs zugute – also ausgerechnet aus jenem Bereich, für den Chorherr als grüner Planungssprecher damals politisch zuständig war. Seither steht der Vorwurf im Raum, Chorherr habe sich mit Gefälligkeitwidmungen revanchiert.

Zwar hat Chorherr, der Ende 2018 den Politikerjob nach 27 Jahren an den Nagel hängte und seither eine Biobäckerei betreibt, die schiefe Optik aufgrund der Verstrickungen nie bestritten und zugegeben, einige politische Fehler begangen zu haben. Gegen den Vorwurf, die Gelder der Immobilieninvestoren im Gegenzug für Wunschwidmungen erhalten zu haben, wehrt er sich jedoch. Auch 19 Beamte in verschiedenen Positionen der MA 21A (Stadtteilplanung und Flächenwidmung) bestätigten Chorherrs Aussage: bei einer Befragung durch die WKStA im Sommer 2019 sagten sie, dass die von ihnen betreuten Flächenwidmungen den regulären Weg ohne Interventionen gingen.

Am Ende stolperte der Visionär, Realo und Anpacker Chorherr wohl über den Glauben an seine eigene Integrität – schließlich sammelte Chorherr immer für den guten und nie für den eigenen Zweck. Das ließ ihn sich womöglich über die Vorwürfe erhaben fühlen. Denn kurz nach seinem Ausscheiden aus dem Gemeinderat zeigte Chorherr erneut mangelndes Bewusstsein für den Interessenskonflikt: er verdingte sich als Berater für das Immobilienunternehmen Soravia, das das umstrittene Bauprojekt "Danube Flats" in der Donaustadt entwickelte und dessen Umsetzung Chorherr als Planungssprecher maßgeblich mitverhandelte.

Auch Soravia steht in Verbindung mit Ithuba. Wenn auch nur indirekt: 2015 spendeten die Gäste bei der Beerdigung des Unternehmensgründers Erwin Soravia 14.700 Euro an Chorherrs Verein.

Haben Sie ein schönes Wochenende!

Ihre Birgit Wittstock


Aus Dem Archiv

Die Causa Chorherr beschäftigt auch uns schon eine Weile. Zur Erinnerung lesen Sie den Kommentar von Politikredakteurin Nina Brnada nach, den Bericht von Stadtleben-Chef Lukas Matzinger und das Interview, das Falter-Herausgeber Armin Thurnher, Architekturkritiker Maik Novotny und ich mit Christoph Chorherr zu seinem Abschied aus der Politik geführt haben.


Hörtipp

Weg aus Wien, hin nach Belarus: Der Protest gegen den dortigen Machthaber Alexander Lukaschenko ist kreativ, anhaltend, und vor allem weiblich. An der Spitze stehen drei Regimekritikerinnen: Swetlana Tichanowskaja, Veronika Zepkalo und Maria Kolesnikowa. Alice Bota ist Journalistin bei der Hamburger Zeit. Sie hat ein Buch über ein Land geschrieben, das weniger als zwei Flugstunden von Wien entfernt liegt und in dem seit einem Jahr die Menschen gegen das Regime aufbegehren. Mit unserer Politikchefin Eva Konzett spricht sie über "Die Frauen von Belarus" und wie der Diktator verlor, als er vor allem die Belarussinnen nicht mehr hinter sich wusste. Hören Sie hier rein!


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