Schiff ahoi - FALTER.maily #587

Matthias Dusini
Versendet am 09.08.2021

das Boot war voll. Vor dreißig Jahren, am 8. August 1991, fuhr das albanische Frachtenschiff Vlora in den italienischen Hafen Brindisi ein. An Bord befanden sich 11.000, manche sprechen sogar von 20.000 Albanerinnen und Albanern. Die Vlora kündigte eine neue Zeit von Migration und Flucht an.

Jugoslawien zerfiel. Slowenien und Kroatien hatten soeben ihre Unabhängigkeit erklärt, da wartete auch die Bevölkerung Albaniens nach Jahrzehnten einer brutalen kommunistischen Diktatur auf den Umbruch. Als Anfang August die Vlora Zucker aus Kuba entlud, besetzten Tausende Bürger das Schiff und zwangen den Kapitän, Fahrt Richtung Italien aufzunehmen.

Die Halbinsel erschien den von Hunger und Armut gezeichneten Menschen als Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Die meisten sahen die Shows der Berlusconi-Kanäle, die schönen Frauen und glänzenden Waren. Zunächst noch als Freiheitshelden bejubelt, kippte die Stimmung der Öffentlichkeit rasch. Lokale Politiker halfen, Rom reagierte mit dem Knüppel. Der Innenminister ließ die Passagiere in ein altes Fußballstadion sperren. Um die Insassen zu versorgen, warfen Helikopter Lebensmittel ab. Ohne den Flüchtlingen die Möglichkeit zu geben, den Grund ihrer Einwanderung darzustellen, beschloss die konservative Regierung, die Leute pauschal abzuschieben. Wer es nicht schaffte, unterzutauchen, kam in ein Schiff oder Flugzeug und musste zurück ins Elend.

Seither ist alles anders. Die mediale Darstellung löst Hass oder Empathie aus. Die Bilder der überfüllten Vlora prägten die Wahrnehmung von Fluchtbewegungen als Welle, das individuelle Schicksal ging in einer als bedrohlich empfundenen Masse unter. Die ausgemergelten Gestalten erinnerten die einen an die Flüchtlingsboote des Zweiten Weltkriegs, als Jüdinnen und Juden nach einem sicheren Hafen suchten. Die anderen empfanden die Vlora-Passagiere als Diebe und Bettler, vor denen sich die braven Italiener schützen müssten. Vorher galten sie als Opfer des Kommunismus, dann als Wirtschaftsflüchtlinge, die das Land aus niederen Motiven verließen. Vor dreißig Jahren begann die Spaltung in Ablehnung und Willkommen.

Ihr Matthias Dusini


Kunst

Im Jahr 1950 reichte Josef Pillhofer ein Empfehlungsschreiben eines Museumsdirektors, um in Pariser Bildhauerateliers lernen zu dürfen. Alberto Giacometti zeigte ihm seine dünnen, verletzlich wirkenden Figuren, Ossip Zadkine wie ein Mädchen und ein Fahrrad eine plastische Einheit bilden und Constantin Brâncuși die Reduktion aufs Wesentliche. Aus diesen Einflüssen destillierte Pillhofer ein originelles Werk, das der hierzulande wenig entwickelten Skulptur zu neuem Ansehen verhalf. Zu Pillhofers 100. Geburtstag stellt das Leopold Museum nun seine Werke aus. Sollten Sie hingehen? Hier versuche ich eine Antwort.


Hörtipp

Johann Wolfgang von Goethe beschrieb die Hoffnung als Triebfeder des Lebens. Hoffnung ist eine große Macht, vielleicht die größte von allen. Doch wann hilft die Hoffnung dem Menschen und wann schadet sie mehr? Was bedeutet Hoffnung für Kranke oder gar für Sterbende? Und: Gibt es Alternativen zur Hoffnung? In unserem Podcast FALTER Radio ist der erste Teil des Symposiums der Salzburger Festspiele 2021 zu hören. Nach Helga Rabl-Stadler sind noch Beiträge von Hoffnungsforscher Andreas Kraft, Cecily Corti, der Gründerin der Obdachlosen-Notschlafstelle Vinzi Rast, sowie dem katholischen Erzbischof von Salzburg, Franz Lackner, zu hören. Entweder in Ihrer Podcast-App oder hier auf falter.at.


Lesetipp

In Österreich wird mittlerweile auf Konzerten oder auf der Alten Donau geimpft, in Vietnam ist noch nicht einmal ein Prozent der Bevölkerung vollimmunisiert. Und das in einem Land mit mehr als 96 Millionen Einwohnern. Dabei ist das Land bisher glimpflich durch die Pandemie gekommen und galt als Musterbeispiel. Die Impfkampagne kommt aber nur sehr schleppend voran – und die Delta-Variante hat die Zahl der Fälle explodieren lassen. Frankreich hat sich daher entschlossen, seine Expats samt Familien in Vietnam selbst zu impfen. Die dortige Regierung unterstützt derartige Initiativen ausdrücklich. Auch die österreichische Community fragte mehrmals bei der Botschaft und im Außenministerium um die Lieferung von Impfstoffen an – allerdings vergeblich. Und dabei bleibt es auch. Auf falter.at lesen Sie, wie Auslandsösterreicher in Vietnam um eine Impfung kämpfen – und dabei vergeblich auf die Unterstützung durch die österreichischen Behörden hoffen. Der Text ist ursprünglich im FALTER.morgen erschienen. Hier können Sie sich dafür anmelden.


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