Was heute am Küniglberg geschah - FALTER.maily #588

Anna Goldenberg
Versendet am 10.08.2021

seit 15 Uhr ist klar, was ohnehin längst außer Zweifel stand: Mit 24 von 35 Stimmen bestellte der Stiftungsrat des ORF Roland Weißmann zum nächsten Generaldirektor. Ab 1. Jänner 2022 wird er der Alleingeschäftsführer von Österreichs größtem Medienhaus. Er verantwortet dann ein Budget von rund einer Milliarde Euro. Das macht ihn enorm mächtig.

In den vergangenen Wochen, als nacheinander Noch-Generaldirektor Alexander Wrabetz, ORF1-Channelmanagerin Lisa Totzauer sowie ORF-Vizefinanzdirektor und TV-Chefproducer Roland Weißmann ihre Kandidatur bekanntgaben, habe ich die drei interviewt, mit Wegbegleiterinnen und Wegbegleitern über sie gesprochen, in den Archiven zu ihren Werdegängen recherchiert.

Ich lernte, dass der Öffentlich-Rechtliche eine eigene Sprache hat, da gibt es Abkürzungen von “HD1” (Hörfunkdirektion 1, der aktuelle Dienst im Radio) bis “FD9” (Fernsehdirektion 9, TV-Magazine und Servicesendungen, früher unter gemeinsamer Chefredaktion mit der "FD1", dem aktuellen Dienst im Fernsehen), ein Channel-Management (das aber nicht allein über das Programm auf den Kanälen entscheidet), einen Informationsdirektor (der zugleich Generaldirektor ist, was aber nicht immer so war) und so weiter.

Ich lernte, dass Führungspositionen Farben haben. Es ist längst nicht nur der Generaldirektor; der soeben ernannte Weißmann gilt als ÖVP-Verbindungsmann, sein Vorgänger Wrabetz hat SPÖ-Vergangenheit. Postenbesetzungen sind die harte Währung jeder Generaldirektion. Damit werden Deals mit der jeweiligen Regierung gemacht, um die Zukunft des ORF, aber vielleicht auch die eigene, zu sichern. Keine Frage, im ORF arbeiten sehr viele kritische, unabhängige, kompetente Menschen. Doch aufgrund der Unart der Postenschacherei und fehlender Transparenz bei Ausschreibungen weiß man oft nicht so genau, woran man nun ist.

Ich lernte auch, dass es nicht schwierig wäre, den ORF parteiunabhängiger zu machen. Ein Anfang wäre beispielsweise, die Abstimmung des Stiftungsrats, der quasi als Aufsichtsrat fungiert, anonym zu machen. So war es bis zur ORF-Reform 2001 der Fall. Wagt man mehr, könnte man an der Besetzung des Stiftungsrats basteln, und die Anzahl jener Mitglieder, die von Parteien entsandt werden, zumindest reduzieren.

Dann könnte man jetzt auch sicher sein, dass der Stiftungsrat mit Roland Weißmann den kompetentesten Kandidaten ernannte, und nicht jenen, auf den sich der engste Kreis rund um Bundeskanzler Sebastian Kurz einigte; und dass die grünen Stiftungsräte mitstimmten, weil sie von Weißmann überzeugt waren, und nicht, weil sie sich ausgehandelt hatten, die Finanz- und die Programmdirektion bestimmen zu dürfen.

Einen angenehmen Abend wünscht

Ihre Anna Goldenberg


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