Der Fall Eva Dichand und die Würdelosigkeit der SPÖ - FALTER.maily #1054
ich möchte sie in diesem Maily in aller Kürze über zwei Angelegenheiten in diesem Land informieren, die mich heute beschäftigten ...
Monochromfetischisten hätten ihre Freude gehabt. Die ÖVP beging am Samstag den Parteitag in St. Pölten in türkis. Die Bilder erinnern an jenen symbolträchtigen Wahlabend am 29. September 2017 im Wiener Kursalon Hübner, als Sebastian Kurz seinen fulminanten Sieg und die Partei ihren neuen Messias feierte. Gestern bestätigten die Delegierten Kurz mit mehr als 99 Prozent als Parteivorsitzenden. Vergleiche mit Nordkorea führen ins Leere. Dort muss die Latte ganz oben liegen. Im St. Pöltner Großzelt – davon darf man ausgehen – haben die Leute das Kreuzchen aus freien Stücken gemacht.
Ohne Zweifel: Die ÖVP steht auf dem Gipfel der Macht, in den Umfragen führt sie weiterhin mit Abstand, innerparteiliche Kriege hat Kurz durch seine Wahlerfolge ersetzt. Kaum einer muckt auf in der christlichsozialen Volkspartei. Nicht beim Afghanistan-Kurs aktuell und auch beim allgemeinen Migrationsgepeitsche nicht. Und dass der Salesianer-Pater Siegfried Kettner bei einer Schiffsprozession zu Maria Himmelfahrt am Wörthersee vor ein paar Tagen dann doch deutliche Worte für die Njet-Haltung zur Aufnahme von Afghanen ("purer Zynismus und beschämend") ventilierte, passt dann auch gut ins Bild. Es wäre sonst gar zu glatt geworden.
Vor dem eigenen Koalitionspartner müssen die Türkisen sich nicht fürchten: Die Grünen tragen den Kurs selbstzerfleischend mit, die Monstranz des Klimaschutzes vor sich hertragend. Vergessend, dass man als Partei auch Heilige daneben haben kann.
Und vor der Opposition sowieso nicht. Kein Wald von Birnam beginnt hier zu gehen: Die Opposition verharrt am Platz, sie rückt nicht in Camouflage unbemerkt vor. Die österreichische Politik folgt nicht den Wendungen shakespearscher Werke, sondern der Realpolitik: Es sind einfach zu wenig Stimmen da.
Umso mehr verwundert die Fahrigkeit, die überhöhte Inszenierung, die schreiende Inhaltsleere der türkisen Politik. Derart fest im Sattel könnte die Volkspartei das Land nicht nur regieren, sondern grundlegend gestalten. Man hat nur von ihren Ideen bisher wenig gehört. Inhaltsfragen werden an Unternehmensberater outgesourct (und mit Steuergeld bezahlt), die Ministerriege dient der Staffage, zum Zeitvertreib verklagt man die Kritischen. Selbst in Person eines Wiener Pensionisten.
Dem Staatsmännischen läge die Tugend der Großzügigkeit inne, denn der Staatsmann hat Wichtigeres zu tun. Der österreichische Staatsmann aber kennt keine Kulanz, er kennt nur Stehsätze. "2015 darf sich nicht wiederholen". "Ich kann mich nicht erinnern". Oder überhaupt nur noch den Worttriangel "Hilfe vor Ort". Ob die dann ankommt oder nicht? Sei's drum. Das war vielleicht gar nicht das vorrangige Ziel.
Die ÖVP will jetzt ja auch die "Scharia" (?!) verbieten. Man möchte ihr zurufen, dass ein probates Mittel gegen Extremismus ein gut aufgestellter, moderner Rechtsstaat ist. Und dass man diesen am besten stärkt, indem man ihn ernst nimmt.
Ich wünsche Ihnen eine guten Wochenbeginn
Ihre Eva Konzett
Der Merkel-Effekt, der "Pull-Faktor" der Willkommenskultur, er war 2015 in aller Munde. Nur: Es hat ihn nicht gegeben. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel. Ich habe mit dem Studienautor, dem Ökonomen Tobias Heidland darüber gesprochen, wie Länder Migration steuern können. Und wie nicht. Spoiler: Martialrhetorik hilft dagegen nicht.
Vielmehr haben ausbleibende Hilfsgelder in den Flüchtlingscamps die Menschen in Bewegung gesetzt. Schon 2012 und 2013 haben Ärzte ohne Grenzen und die UNO vor den Zuständen in den Camps gewarnt. Im Dezember 2014 schickte das Nahrungsmittelprogramm der Vereinten Nationen einen dramatischen Appell an die internationale Gemeinschaft: Man sei gezwungen, die Lebensmittelhilfe für 1,7 Millionen syrische Flüchtlinge in den Nachbarländern einzustellen: Es fehlte einfach an Geld. Außenminister war damals Sebastian Kurz. Noch 2020 hat Österreich nur 0,29 Prozent seines Bruttonationaleinkommens (BNE) in Entwicklungshilfe und humanitäre Hilfe vor Ort fließen lassen, deutlich weniger als andere EU-Länder und deutlich unter der Latte der OECD: Diese forderte 0,7 Prozent des BNE.
"Ist Kurz Mitte, ist er rechts? Ist er christlich, ist er Sekte?" Wie FALTER-Herausgeber Armin Thurnher diese Fragen beantwortet, lesen Sie in der Seuchenkolumne. Und wer hinter jenen 0,6 Prozent stecken könnte, die Sebastian Kurz am ÖVP-Parteitag nicht gewählt haben, hat Harry Bergmann in seiner Kolumne "Loge 17" aufgeschrieben.
Kann zeitgenössische Kunst Hoffnung spenden und wann wird aus Kunst Kitsch? Das diskutieren beim Symposium der Salzburger Festspiele 2021 die Autorin Renate Welsh, die Malerin Xenia Hausner und der Schauspieler Johannes Silberschneider. Das Gespräch können Sie jetzt im FALTER-Radio nachhören!