Comeback der Linken - FALTER.maily #629

Raimund Löw
Versendet am 27.09.2021

Die Wahlen in Deutschland, Oberösterreich und Graz geben einiges zu interpretieren auf. Die Eigenheiten des Linksrucks in Graz mit einer erfolgreichen Kommunistischen Partei, die offenbar mit dem Kommunismus nichts am Hut hat, hat Armin Thurnher heute früh schon seziert. Oberösterreich überlasse ich den innenpolitischen Kennern.

Doch die ganze Welt blickt nach dem Erfolg der SPD auf Deutschland. Dabei ist der Wechsel in Berlin alles andere als sicher. Die CDU will unter allen Umständen an der Macht bleiben, obwohl das Comeback der Sozialdemokraten die entscheidende Verschiebung darstellt. Lange hat es für die SPD Niederlagen geregnet. Innerparteilich lagen Linke und Rechte miteinander im Clinch. Die Große Koalition war in der Basis unpopulär. Jetzt ist es genau die Funktion des Finanzministers unter Angela Merkel, die Olaf Scholz zum Sieg geführt hat.

Als der Falter Podcast vor einiger Zeit ein ausführliches Interview mit Scholz aus dem Kreisky Forum übernahm, meinte Ihr Maily-Schreiber zum Interviewer Robert Misik, dass ein Langweiler wie Scholz doch nie Nummer eins werden könne. Weit gefehlt. Nicht charismatische Visionäre, sondern Pragmatiker wie Joe Biden oder eben Olaf Scholz eröffnen den Weg zu Erfolgen von Mitte-Links.

Wobei sowohl in den USA als auch in Deutschland der linke Flügel einen wichtigen Anteil am Erfolg hatte. Bernie Sanders mobilisierte die amerikanische Jugend gegen Trump und fügt sich seither als wichtiger Senator in die Pläne der Biden-Administration ein. Das linke Führungsduo der SPD hat Scholz akzeptiert. Sogar der GroKo-Kritiker Kevin Kühnert machte diszipliniert Wahlkampf für den Finanzminister. Das Wahlvolk schätzt den professionellen Umgang mit der breiten Vielfalt der Partei.

Jetzt muss Olaf Scholz erst einmal den Versuch der konservativen Verlierer zurückweisen, an der Macht zu bleiben. Einfach wird das nicht.

Ein Defizit sollten Sozialdemokraten, Grüne und bürgerliche Demokraten schleunigst angehen: Wie es weitergehen soll in Europa, spielte im deutschen Wahlkampf keine Rolle. Außenpolitik kam nur in der letzten Runde der Spitzenkandidaten zur Sprache. Die Vorstellung, dass FDP-Mann Christian Lindner deutscher Finanzminister wird, treibt vielen in Brüssel den Angstschweiß auf die Stirn. Die erhoffte Verlängerung des EU-Aufbaufonds könnte zu einer Hängepartie werden, mit weitreichenden Auswirkungen für die Stellung Europas in der Weltwirtschaft. Egal, in welcher Konstellation in Berlin und anderen Hauptstädten regiert wird: Die nationalen Akteure mögen sich noch so wenig für die Welt interessieren, schließlich wird es die Weltpolitik sein, die sich für sie interessiert, vermutet in Abwandlung eines alten Spruchs des russischen Revolutionärs Leo Trotzki

Ihr Raimund Löw


Podcast

Im aktuellen Falter Podcast hören Sie einen Weckruf Franz Vranitzkys. Der Altkanzler widerspricht allen, die von einem Ende der Sozialdemokratie reden, er liest der türkisen Europapolitik die Leviten, bezeichnet sie als "schändlich" und hat Vorschläge für das SPÖ-Zentralsekretariat in der Löwelstraße. Vielleicht interessiert Sie die Rede Vranitzkys anlässlich des 30-jährigen Bestehens des Bruno-Kreisky-Forums.


Einladung

"Und jetzt ein Ruck nach links" prognostizierte auch der Soziologe Oliver Nachtwey in seinem FALTER-Interview von vergangener Woche. Morgen spricht er beim "Wiener Stadtgespräch" mit Barbara Tóth über das neu erwachte Klassenbewusstsein in unseren Gesellschaften. Hier können Sie sich für das Event anmelden, hier es ab 19h via Livestream mitverfolgen.


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