Na bumm – und was nun? - FALTER.maily #637

Barbara Tóth
Versendet am 06.10.2021

So fühlt sich also ein politisches Erdbeben an: Heute kam es zu Hausdurchsuchungen im Kanzleramt und der ÖVP-Parteizentrale. Im Fokus der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) stehen die engsten Mitarbeiter des Kanzlers Sebastian Kurz, darunter Kanzlersprecher Johannes Frischmann, Medienbeauftragtem Gerald Fleischmann und Berater Stefan Steiner. Weiters die Mediengruppe Österreich unter Helmuth und Wolfgang Fellner sowie die ehemalige ÖVP-Familienministerin und Meinungsforscherin Sophie Karmasin und die Meinungsforscherin Sabine Beinschab.

Es geht um den Verdacht der Inseratenkorruption, Bestechung und Bestechlichkeit, um geschönte Umfragen, kurzum: um den massiven Verdacht, dass sich die Kurz-Partie mithilfe gefälliger Medienmacher und Umfrageinstitute seinen Durchmarsch an die ÖVP-Spitze erschlichen und erkauft hat. Eine fundierte Einordnung des Skandals bekommen Sie hier.

Erinnert Sie das alles an etwas? Wir haben im Falter schon 2017 ausführlich über das Projekt Ballhausplatz berichtet. Kurz Weg an die Macht war minutiös geplant und wurde eiskalt durchgezogen. Auch der ehemalige ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner hat seine skrupellose Demontage durch Kurz in seinem Buch "Haltung" dokumentiert. Auf die Projekt-Ballhausplatz-Geschichte, die mein Kollege Josef Redl und ich 2017 recherchiert haben, reagierte die ÖVP damals so wie auf die heutigen Hausdurchsuchungen: "Verleumdung!" "Gefälscht!" "Politisch motiviert!" Mir wurde sogar der Zutritt zu einer ÖVP-Pressekonferenz verweigert. Später musste die ÖVP kleinlaut zugeben, dass alles gestimmt hatte.

Und was nun? Wie lange werden die Grünen da noch zuschauen? Wann reicht es ihnen? Es muss für die Grünen einen Unterschied machen, ob sich der Kanzler wegen einer mutmaßlichen Falschaussage im Untersuchungsausschuss verantworten muss. Oder weil sich sein engstes Umfeld mit willfährigen Boulevardmedien korrumpierte und dabei Steuergelder für Parteizwecke einsetze, finde ich.

2019, nach Platzen des Ibiza-Skandals, kündigte Kurz Neuwahlen an. Er könne bei den Ideen der FPÖ von "Machtmissbrauch, Umgang mit österreichischem Steuergeld und Verständnis gegenüber der Medienlandschaft" einfach nicht mehr mit. Jetzt soll er diesen Maßstab einmal an sich selbst anlegen. Und wenn er es – erwartungsgemäß – nicht tut, dann ist das Aufgabe der Grünen und des Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen. Der mahnte heute Abend schon mal sicherheitshalber Respekt vor der Justiz ein. Wie sagte er so schön nach Ibiza? "So sind wir nicht".

Falls Sie sich auf einen ruhigen Herbst nach den Entbehrungen der Pandemie gefreut haben, vergessen Sie das. Es wird ruppig und hoffentlich reinigend für Österreichs politische und mediale Kultur.

Ihre Barbara Tóth


Podcast

In diesem eilig aufgenommenen Sonderpodcast sprechen Florian Klenk und Raimund Löw über die Hintergründe der "ÖSTERREICH-Affäre" und die möglichen politischen Implikationen des Skandals. Hier können Sie das Gespräch kostenlos anhören. Wenn es Ihnen gefällt, folgen Sie uns gerne bei dem Podcast-Anbieter Ihres Vertrauens, so bleiben Sie stets informiert.


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