Rot gegen Grün - FALTER.maily #636

Florian Klenk
Versendet am 05.10.2021

Der Wiener Bürgermeister hat uns ein Interview gegeben und dabei durchaus politische Kante gezeigt. Er wollte offenbar aufzeigen, wo er die Grenzen zwischen der Wiener Sozialdemokratie und den Grünen sieht und zieht.

Erstens: Bei der sogenannten Stadtstraße, einer lange bewilligten, etwa drei Kilometer langen Verkehrsspange, die die Südost-Tangente mit der Seestadt Aspern verbinden soll und an der Zehntausende Menschen wohnen werden.

Michael Ludwig weigert sich nicht nur, jene Jugendlichen zu treffen, die seit Wochen die Baustelle blockieren ("Na, mit Sicherheit nicht!"), er gibt ihnen auch ordentlich Hohn-Beton. Sie würden, so habe er es gelesen, von der Mama im Auto zur Demo gebracht, die Kids seien privilegiert und von den Grünen aufgestachelt.

Zweite Spitze gegen die Grünen: Deren Umweltministerin Leonore Gewessler habe – kurz vor der oberösterreichischen Wahl – ein Foul an Wien begangen, weil sie das Klimaticket ohne den Verkehrsverbund Ostregion gestartet habe, also ohne Wien. Die Stadt musste schließlich nachgeben. Das ist nicht ganz falsch. Aber wie sonst baut man politischen Druck für so ein sinnvolles Projekt auf?

Dritter Vorwurf: Die ökosoziale Steuerreform, das Prestigeprojekt der Grünen in der Koalition mit Sebastian Kurz, sei gar keine solche. Sie benachteilige städtische Mieter mit ihren Gasthermen und fördere jene, die in ihre Einfamilienhäuser im Speckgürtel auspendeln. Die Reform belaste zudem das Wiener Gesundheitssystem, denn eine Reduktion der Lohnnebenkosten treffe die Spitalserhalter.

Und am Ende des Gesprächs verpasst der Bürgermeister manchen Ökos noch einen Schlag in die Rippen. Die Impfgegnerschaft, so führt er aus, müsse man auch historisch interpretieren. In den 30er-Jahren hätten die Nazis gegen die "verjudete" Schulmedizin gewettert und die "Alternativmedizin" – vor allem auch Homöopathie propagiert. Dieser wirre Schmafu sei dann in den 60ern und 70ern von linken Esoterikern übernommen worden. Nun würde sich in der Pandemie linkes und rechtes Milieu mischen und vereint gegen Corona-Impfungen wettern. Dagegen stünde die Sozialdemokratie mit ihrem Aufklärungsanspruch.

Ludwig analysierte diesmal nicht nur, er provozierte auch. Er "framed" die Fridays for Futures als Muttersöhnchen, die im Grunde privilegiert seien und von den Nöten der Leute keine Ahnung haben. Und schon ist es wieder da, das alte Narrativ vom Umweltschutz, den man sich einmal erst leisten können muss.

Man mag das alles nicht besonders fortschrittlich oder sympathisch finden, aber immerhin spricht Ludwig Klartext. Er will die Stadtstraße bauen, weil er leistbare Wohnungen für Zehntausende Menschen bauen muss, damit die Mieten nicht explodieren. Das ist die rote Agenda und sie hat ihre Berechtigung. Er will die "Fridays" nicht als Klimahelden hochstilisieren, weil in einer Demokratie Projekte eben per Umweltverträglichkeitsprüfung und in rechtsstaatlichen Genehmigungsverfahren ausgehandelt werden – und nicht in Protestzelten. Er will die Flächenbezirke offenbar nicht verlieren wegen ein paar Schülern im Widerstand.

Diese politische Abgrenzung hat durchaus ihren Reiz. Die junge Generation, die zu Zehntausenden auf die Straße geht, weiß nun, wie Michael Ludwig denkt und kann mit ihm besser streiten. Er sollte diesen Streit, so wie sein Vorbild Bruno Kreisky, offensiv und interessiert führen. Auf polemische Spitzen sollte er verzichten, zumindest wenn er will, dass ihn auch junge, aufgeweckte Linke wählen.

Ihr Florian Klenk


Aus Dem Falter

Das ganze Interview mit Bürgermeister Ludwig finden Sie hier, ab morgen können Sie das Gespräch auch im FALTER-Radio anhören.

Die im Interview besprochene Steuerreform der Bundesregierung hat meine Kollegin Barbara Tóth hier analysiert: Sie hält sie weder für sozial noch für besonders ökologisch.

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Aus Dem Falter 2

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Falter Woche

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Zum Hören

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