Mücke, was nun?

Lukas Matzinger
Versendet am 07.11.2021

Die wichtigste österreichische Tradition im Herbst ist nicht Erntedank, Martinigansl oder Kastaniensammeln, sondern die rituelle Kapitulation vor einer meldepflichtigen Atemwegserkrankung.

Gestern haben sich Österreichs Ministerien zu 9.943 neue Infektionen in 24 Stunden bekannt, das sind noch mehr als in der Saison 2020. Obwohl es seit Monaten Impfstoff im Übermaß gibt, ist gerade fast jeder Hundertste im Land ein Coronafall. Die Behörden konnten zuletzt bei sechs von zehn Infektionen keine Quellen mehr ermitteln. Das Bundesland Salzburg hat das Contact Tracing an Schulen mittlerweile eingestellt, Mitschüler Infizierter gelten dort nicht mehr als Kontaktpersonen.

Wir müssen den Tatsachen ins Auge sehen: Die Politik kann es nicht. So sind wir. Österreich verschläft im Pandemiekampf jeden September, um im November mit Rekordzahlen aufzuwachen. Wenn schon nicht die Korruptionsaffären und die Kritikerverfolgungen, belegen es die Impf- und die Neuinfektionsquote ein für alle Mal: Wir gehören zum Osten der Europäischen Union.

Seit eineinhalb Jahren findet die türkis-grüne Regierung weder Tatmut noch eine verbindliche Sprache. Aus dem naiven obersten Ziel, die Krankenhäuser zu schonen, wurden die obersten Ziele, Rechtswähler nicht vor den Kopf zu stoßen (Alexander Schallenberg), Landtagswahlen nicht zu versemmeln (alle), Skilifte aufzusperren (Elisabeth Köstinger) oder die strenge Wiener Stadtregierung mit fataler Verspätung nachzuahmen (Wolfgang Mückstein).

Vielleicht sollten wir endlich ernsthaft über den politischen Fachkräftemangel im Land sprechen. Zu einem Philosphen als Finanzminister, einer Bauernbündlerin als Verteidigungsministerin, einem Volkswirten als Sportminister und einer Strafrichterin als EU-Ministerin kommen nun ein Hausarzt als Gesundheitsminister und ein Ex-Pressesprecher als Bundeskanzler.

Das Coronadashboard ist das Zeugnis für eine Politik, die nach Loyalität und Fotogenität besetzt, nach Stimmungsumfragen regiert, sich von Parteikonflikten vereinnahmen und von entlegenen Befindlichkeiten im Land bremsen lässt. Leider ist das beiden Regierungsparteien nicht fremd.

Ihr Lukas Matzinger


Musik

Gegen Politikfrust von 2021 helfen Popjuwelen aus 1984. Zu jener Zeit ist Jack Adkins mit Streunerliedern wie diesem durch US-amerikanische Einkaufszentren getingelt, bevor er im Computerboom steinreich wurde. Und Rick Guevas von der kalifornischen Avantgardepopband Zru Vogue hat mit dem Geld seines Vaters ein betörend sphärisches Album verlegt, auf Nachfrage verschickt der Künstler noch heute mp3-Dateien per Mail.


Podcast

Mit Anti-Politik kann man in der Politik zunehmend erfolgreich sein. Das beweist hierzulande etwa Marco Pogo, der eigentlich Dominik Wlazny heißt. Im FALTER-Radio spricht der Arzt und Musiker über Bier, Punk und Politik. Er ist Bandleader der Partyrockband "Turbobier" und sitzt für seine Partei, die Bierpartei, im Bezirksrat von Wien-Simmering. Das Gespräch führte FALTER-Musikredakteur Gerhard Stöger.


Einladungen

Österreichs kleine Schwester der Frankfurter Buchmesse, die "Buch Wien" startet am kommenden Mittwoch. Am Sonntag, den 14.11., präsentieren zwei Autoren aus dem Falter Verlag ihre Bücher: Harald Walser präsentiert um 10:30 "Ein Engel in der Hölle von Auschwitz", mit anschließendem Gespräch mit dem Journalisten Peter Huemer. Ab 13h stellt Bernd Marin "Die Welt danach" vor und diskutiert im Anschluss mit meiner Kollegin Eva Konzett und dem Public-Health-Experten Martin Sprenger darüber, wie die Pandemie unsere Gesellschaft geprägt und verändert hat. Wir freuen uns, wenn Sie vorbeischauen!

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