Stell dir vor, es ist Omikron und keiner schaut hin

Lukas Matzinger
Versendet am 19.12.2021

Ich bin nur staunender Laie, aber wenn die ersten Zahlen und Berichte aus England halbwegs hinkommen, wird die Omikron-Welle auch bei uns alles bisherige in den Schatten stellen.

Die Insel ist uns eine, maximal zwei Wochen voraus, die Omikron-Variante ist dort schon dominant, jeder Infizierte steckt gerade drei bis fünf andere an, die Fallzahlen verdoppeln sich alle zwei Tage. Die Variante ist so agil, dass über Nacht ganze Unternehmenstrakte in Quarantäne kommen – in London etwa schon in Spitälern.

Österreich gönnt sich derweil eine Weihnachtsamnestie, alleine die Wintersportmetropolen Salzburg und Innsbruck empfingen alleine heute 20 Touristenflieger aus England, wir schicken aber auch die Kleinen ungetestet in die Kindergärten und die Großen ungetestet in Wirtshäuser. Die zu erwartenden Infektionszahlen werden uns noch wehmütig von der Deltawelle schwelgen lassen. Ladies and Gentlemen, this is Lockdown No. 5.

Paradox ist, dass Omikron trotz jener Drohkulisse die allgemeine Impfpflicht infrage stellt. Denn die Stoffe, die sich jeder ab 1. März verabreichen lassen muss, helfen zunächst wenig gegen die bald stärkste Variante. Zwei Biontech-Impfungen schützen laut südafrikanischen Krankenversicherungen zwei Drittel der Menschen nicht vor einer Omikron-Infektion und laut einer Bevölkerungsstudie aus Großbritannien schon 15 Wochen später nur mehr zu 34 Prozent vor Symptomen.

Den rettenden dritten Stich bekämen die Verpflichteten wohl erst im Sommer 2022. Dann waren sie aber wahrscheinlich schon infiziert, und/oder haben die nächste Variante vor der Nase. Kurz: Die Verfassungsjuristen müssen sich fragen, ob man zur Impfung gegen ein Virus verpflichtet werden kann, das so geschickt vor der Immunantwort flüchtet.

Als wäre das alles noch nicht genug, bedroht eine weitere aggressive Mutation das Land: jene des Widerstands gegen die Pandemiepolitik. Dass ihn der Verfassungsschutz schon für die größte Gefahr der Sicherheit Österreichs hält, liegt wohl auch an einer besonders verantwortungslosen Parlamentspartei, die Menschen für ein paar Stimmen arglistig aufwiegelt. Laut der "Europäischen Beobachtungsstelle für digitale Medien" war Österreich zuletzt der Hotspot für Covid-19-Desinformation.

Radikale Maßnahmengegner protestieren heuer vor Krankenhäusern und Bürgermeisterwohnungen, sie sammeln Waffen und fantasieren sich in den Bürgerkrieg. Im aktuellen Falter schildern österreichische Ärzte und Forscher, wie sie ihre Namen auf Todeslisten oder Stricke im Postkasten fanden. Die Tiroler Virologin Dorothee von Laer musste ihren Wohnsitz ins Burgenland verlegen, weil sie auf den Straßen Innsbrucks nicht mehr sicher war.

Es wird ein langer Winter.

Ihr Lukas Matzinger


Musik

Dunkle Tage, mieses Wetter, Reiseverbote. Wer zu dieser Jahreszeit vom Fernweh geplagt ist, verspürt vielleicht bei dieser Playlist ein bisschen transkontinentale Gefühle.


Podcast

Falter-Kolumnistin und Philosophin Isolde Charim analysiert Querdenker und Impfgegner als Symptom einer allgemeineren Verunsicherung. Demokratie brauche Glaube an eine gerechte Herrschaft, sagt sie in einer Rede, die wir im FALTER Radio ausstrahlen dürfen. Gesprochen hat Charim sie bei der Eröffnung der Wiener Buchmesse am 14. November 2021. Hier können Sie reinhören.

Um die Sprache der Pandemie geht es in einer anderen Podcast-Folge. Die Linguistin Ruth Wodak erstellt einen verheerenden Befund für die österreichische Kommunikation in Zeiten von Corona. Sie spricht mit dem Rechtswissenschaftler Nikolaus Forgó, hier haben wir diese Folge für Sie.


Seuchenkolumne

Während wir dieses Maily verschicken, setzen viele tausend Menschen ein Zeichen entgegen die von der FPÖ veranstalteten, von Identitären symbolisch dominierten und teilweise von Neonazis gekaperten Demonstrationen. Unter dem Motto #YesWeCare findet eine Lichterkette am Ring statt. Der Lehrer Daniel Landau hatte die Idee, sie wurde mit Begeisterung aufgegriffen, alle möglichen Institutionen unterstützen sie, von Gewerkschaft und Arbeiterkammer bis zu Israelitischer Kultusgemeinde und Bundeskanzler Nehammer. Unser Herausgeber Armin Thurnher schreibt über Demonstrieren unter pandemischen Bedingungen.


Lesetipp

Wissen Sie, was ein Schneekönig ist? Unser Kolumnist Harry Bergmann wusste es nicht und musste nachsehen: „Der Schneekönig heißt eigentlich Zaunkönig und ist ein kleiner Vogel, der über den Winter nicht in den Süden zieht, wie viele andere Singvögel. Deshalb wird er auch Schneekönig genannt. Und weil er trotz Kälte und Schnee durch unsere Gärten hüpft und singt, denkt man, er würde sich freuen.“ Er schreibt in seiner Loge 17 über den Schneekönig, unseren ganz neuen Bundeskanzler.

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