Srebrenica - FALTER.maily #1049
Der österreichische Politikwissenschaftler Walter Manoschek ist ein Kapazunder im Bereich der Holocaust-Forschung. Seine Arbeit zur Verfolgung ...
Ich glaube, ich habe diese Stadt noch nie so traurig gesehen. Leser des FALTER.morgen kennen den "Blue Monday", nach der Zauberformel der englischen Reiseagentur Sky Travel sei heute der deprimierendste Tag des Jahres: wenn die Weihnachtsfreude vergessen und der dunkle Winter lange nicht ausgestanden ist.
Doch so erlebbar wie heuer war die große Depression noch nie. In der U-Bahn nur trostlose Gesichter, in Meetings fahren einander Kollegen in die Parade, in abendlichen Gesprächen keine Vorfreude auf irgendetwas, Bekannte trinken oder essen zu viel, um wenige gute Gefühle zu erwerben. War die Frau im Aufzug etwa gerade verweint? Hier reden wir noch fast durchwegs von (verhältnismäßig) privilegierten und (vormals) lebensfrohen Leuten.
Zwei Jahre Seuche haben das Gemüt angesteckt, selbst prächtige Pandemiebewältiger, die in ihren Kreisen für Optimismus und Stabilität zuständig waren, sind mittlerweile unrund oder trübsinnig, bishin zu gereizt und perspektivenlos. Heute vor einem Jahr haben wir mit den Erstgeimpften ein wenig Hoffnung aufgesogen, jetzt gibt es Fluchtmutanten und Querdenkergewalt, Massenquarantäne und Vergnügensverbote. Erfreuliche Ereignisse habe ich kaum mehr erinnerlich.
Wirklich glückliche Mitmenschen fallen mir noch in überschaubarer Stückzahl ein, jeder Begegnung entnimmt man die kollektive Vereinsamung. Viele lassen sich in ihrer gleichzeitigen Über- und Unterforderung hängen, trauen ihren Träumen nicht mehr oder proben schädliches Verhalten, um da halt irgendwie durchzutauchen. Man hat gerade einfach Mühe zu funktionieren und wenig Geist das zu kaschieren. Es ist sowas von nicht erstaunlich, dass etwa die Psychologen an den Universitäten oder eine steirische Plattform für Onlinetherapie hinten und vorne nicht mehr mit der Arbeit nachkommen.
Der Epilog der Krise in der Volkspsyche ist noch nicht erfüllend erforscht, aber schon täglich anzuschauen. Wie, wann und ob wir da wieder rauskommen, ich weiß es nicht, dass die Tage wieder länger und die Varianten wieder nachlässiger werden, dürfte helfen. Und angeblich auch das Reden: Wenn Sie vorstehende Empfindungen teilen, wenn Sie schmerzlich betroffen oder überfordert mit Seelsorgen sind, antworten Sie auf dieses Maily. Das Thema ist leider noch nicht zu Ende erzählt.
Ihr Lukas Matzinger
Besser leiden: Eigentlich sollte man traurige Musik hören, wenn man besonders glücklich ist, aber das ist jetzt auch schon egal. Hier eine schöne Playlist für unschöne Stunden.
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