Pandemische Paradoxien

Barbara Toth
Versendet am 26.01.2022

Für den deutschen Gesundheitsminister Karl Lauterbach ist die österreichische Impfpflicht ein "Meilenstein". Ich sehe das anders. Sie ist kein Meilenstein, sondern – um beim Bild eines mühsamen Weges zu bleiben – ein Warnschild: Achtung, so untergräbt man das Vertrauen in den Staat in Zeiten der Pandemie.

Denn zeitgleich mit dem Impfpflichtgesetz hat die Regierung eine Impflotterie und Prämien für Bürgermeister beschlossen hat, die in ihren Gemeinden mehr als achtzig Prozent Impfquote erreichen. 

Paradoxer geht es nicht. Der Staat lobt Preise aus für etwas, das er gleichzeitig zur Pflicht erklärt. Er gibt dem Volk Zuckerbrot und Peitsche – beides zur Unzeit. Heute hat er dann auch noch den Lockdown für Ungeimpfte für beendet erklärt. Gleichzeitig werden Kindergartengruppen und Schulklassen nach Hause geschickt, wenn mehr als zwei Kinder einen positiven Corona-Test haben. Logisch? Finde ich nicht.

Die Impflotterie an sich wäre ja eine gute Idee. Nur kommt sie neun Monate zu spät. Die Impfpflicht selber ist überhaupt nur ein "Impfpflichterl", mehr Drohkulisse als exekutierbares Gesetz. Am Arbeitsplatz gilt weiter 3G. Nachvollziehbar? Natürlich nicht. So wird das Rechtsverständnis der Menschen verhöhnt.

Erinnern wir uns kurz, wie die Impfpflicht entstand: mitten in den Chaostagen nach Sebastian Kurz' Rücktritt. Der Kanzler hieß damals Alexander Schallenberg und die ÖVP brauchte dringend etwas, um die Wut der Geimpften über den x-ten Lockdown zu dämpfen. So entstand die Idee für eine gesetzliche Impfpflicht.

Viele Expertinnen und Experten haben dem neuen Kanzler Karl Nehammer seitdem geraten, zuzuwarten. Für Omikron kommt das Gesetz ohnehin zu spät, der massive Grundrechtseingriff sei angesichts der milderen Virus-Variante kaum mehr vertretbar – und im Herbst kann alles schon wieder ganz anders sein. Aber die ÖVP hat Österreich drei Kanzler binnen drei Monaten zugemutet. Da wollte man beim Thema Impfpflicht nicht schon wieder alles umkrempeln.

Impfpflicht samt Impflotterie, kein Lockdown für Ungeimpfte, aber strenge Quarantäne für – zum Teil inzwischen zweifach geimpfte – Schulkinder, 3G am Arbeitsplatz, 2G in Lokalen, teure PCR-Tests, die immer noch massenhaft im guten Glauben verwendet werden, obwohl Omikron sich so rasant verbreitet, dass das Testergebnis 24 Stunden später nur mehr bedingt "sicher" ist, jedenfalls nicht wahnsinnig viel sicherer als jenes eines Anti-Gen-Schnelltests. Die Liste der pandemischen Paradoxien wird von Tag zu Tag länger.

Noch etwas sollte auf dem Warnschild stehen, das anstelle des Lauterbach'schen Meilensteins am Wegrand aufgestellt gehört: Achtung, Entscheidungen in der Pandemie sollten nie von Partei-Interessen getrieben sein.

Ihre Barbara Toth


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