SWIFT - FALTER.maily #744

Eva Konzett
Versendet am 25.02.2022

Tag 2 also dieses Angriffs Russlands auf die Ukraine. In den sozialen Medien kursieren Bilder von Panzern in den Boulevards von Kiew. Sind die Szenen echt? Wer hätte noch Grund, daran zu zweifeln. 

Die EU-Kommission hat gestern die härtesten Sanktionen angekündigt, ebenso wie die USA. Die Schweizer sehen die Angelegenheit gelassener, China sowieso. Auf der anderen Seite kritisieren hochrangige Persönlichkeiten die EU, nicht weit genug zu gehen. Norbert Röttgen, der Mann fürs Außenpolitische in der deutschen CDU, bemängelt etwa, dass man Russland nicht aus dem Swift-System hinausgeworfen hat. Jener Plattform, die internationale Rechnungen abwickelt. Er steht damit längst nicht alleine da. Sogar der österreichische Nationale Sicherheitsrat spricht sich mittlerweile für einen solchen Schritt aus. 

Swift, das ist eigentlich nur eine Genossenschaft mit Sitz im belgischen La Hulpe, eine Non-Profit-Organisation. Der normale Bankkunde kennt das System höchstens vom BIC-Code auf seiner Bankomatkarte. Swift übermittelt nicht Geld, sondern Zahlungsinformationen. Eine Art Whatsapp-Gruppe mit mehr als 11.000 Mitgliedern: Banken und Finanzinstitutionen dieser Welt. 1977 wurde die erste Nachricht im Swift-System verschickt. Davor hatten sich Banken per Fernschreiber über Zahlungen unterrichtet.

Es gibt also Möglichkeiten, Rechnungen außerhalb von Swift zu begleichen. Nur hat Swift durch seine Monopolstellung de facto die Alleinherrschaft. Deshalb gilt es jetzt als die schärfste Waffe gegen Wladimir Putin. 

Was aber würde also passieren, wenn man Russland aus dem Netzwerk ausschlösse? 2014, als Russland die Krim besetzte, wurde über einen solchen Schritt schon beraten.

Um fünf Prozent würde die russische Wirtschaftsleistung dann einbrechen, rechnete der damalige russische Finanzminister vor. Fünf Prozent, das ist eine dramatische Wirtschaftskrise. Die Zahl scheint trotzdem untertrieben.

Es gibt jedenfalls wenige Vergleichsmöglichkeiten für einen solchen Schritt. Als 2012 einige iranische Banken vom Zahlungssystem ausgeschlossen wurden, brach der Erdölexport um zwei Drittel ein. Eine Katastrophe! Und: Die russische Wirtschaft ist zwar nicht besonders verzahnt mit den anderen, aber viel verzahnter, als es die iranische je war. Besonders mit Europa.

Russland erreicht dabei nicht einmal die Wirtschaftsleistung Italiens. Seine Macht beruht darauf, dass es etwas hat, was der andere dringend braucht: Erdgas. 

37.3 Prozent seines Handels macht das Land mit der EU. Die EU umgekehrt weniger als fünf Prozent. Insgesamt tauschen diese beiden Blöcke Waren und Dienstleistungen im Wert von €174.3 Milliarden Euro pro Jahr miteinander. 26 Prozent des Bedarfs an Erdöls und 40 Prozent des Erdgasverbrauchs bezieht die EU aus der sibirischen Steppe. 

Ein Ausschluss Russlands aus dem Swift-System würde es russischen Unternehmen sehr schwer machen, ihre internationalen Rechnungen zu fakturieren. Es würde den Handel zumindest mit dem Ausland stark treffen. Im Inland werkelt Russland seit mehreren Jahren an der alternativen Plattform SPFS. Die Chinesen haben das Cips-System errichtet, keines der beiden Systeme hat sich international durchgesetzt. Da war die Übermacht von Swift zu groß.

Unklar ist aber, wie die Rechnungen für die Erdgaslieferungen nach Europa ohne Swift abgewickelt werden können. Würden europäische Banken auf die russischen und chinesischen Alternativen umsteigen? Damit wäre das Pferd von hinten aufgezäumt. Würde man nicht mehr bezahlen? Dann käme kein Gas mehr.

Ein Ausschluss Russlands aus dem Swift-Zirkel würde das Land immens treffen. Schmerzlos würde es aber auch für die Gegenseite nicht ablaufen. Die Gegenseite, das sind wir.

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hat erklärt, die Swift-Verbannung als Drohkulisse noch aufrecht erhalten zu wollen. Man kann ja nicht wissen, wie weitreichend die Angriffspläne des Kreml noch sind. Ist das schon Taktik oder noch Ausrede? 

Es stelle sich jedenfalls die Frage, wie Europa ohne Swift seine notwendigen Gasimporte aus Russland bezahlen wolle, sagt Ifo-Präsident Clemens Fuest dem deutschen Handelsblatt. Da müsste man schon Pläne haben, wie man das russische Gas - etwa durch Flüssiggas-Lieferungen ersetzen könnte. "Schlimm wäre es, wenn die EU im Herbst bei Putin zu Kreuze kriechen und um Gaslieferungen betteln müsste, die man vorher abgeschnitten hat."

Ich wünsche Ihnen einen guten Abend

Ihre Eva Konzett


Seuchenkolumne

"Das ist verblüffend und desillusionierend. Putin ist auf alles vorbereitet, der "Westen" nicht", schreibt Armin Thurnher in seiner heutigen Seuchenkolumne. Aber vielleicht erreiche Putin mit seinem Angriff auf die Ukraine auch, was er eigentlich verhindern wollte: mehr Zusammenhalt in der Europäischen Union.


Ganz Was Anderes

Das Geständnis von Sabine Beinschab ist da. Darin spricht sie über ihre Auftraggeber und wer vom "Beinschab-Österreich-Tool" profitiert hat. Für die Ermittler – und die Öffentlichkeit – lässt sich jetzt nachvollziehen, wie die engsten Berater von Sebastian Kurz Steuergeld für parteipolitische Umfragen missbrauchten - und wie eine Ministerin dabei mitgeschnitten haben soll. Wir haben die Akten gelesen und in diesen Longread gepackt.

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Falter Natur

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Podcast

Ab morgen hören Sie im FALTER-Radio eine Diskussion zum russischen Angriff auf die Ukraine. In der Sonntagsepisode spricht Schauspielerin und Sängerin Erika Pluhar über ihre Kindheit, persönliche Erfolge und Tragödien sowie ihre Sorge vor dem radikalen Individualismus von heute. Beide Sendungen sowie ein Archiv, gefüllt mit den vergangenen 690 Podcast-Folgen, finden Sie hier.

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