Srebrenica - FALTER.maily #1049
Der österreichische Politikwissenschaftler Walter Manoschek ist ein Kapazunder im Bereich der Holocaust-Forschung. Seine Arbeit zur Verfolgung ...
Was wünscht man sich? Erst einmal keinen Krieg.
Man wünscht sich, die gerechte Sache möge siegen. Gibt es eine gerechte Sache im Krieg? Nie schwarz-weiß. Fast immer zahlen Unschuldige, Unbeteiligte, die Falschen den Preis. Ohne ins Detail zu gehen und ohne nur ansatzweise das Verbrechen und den Völkerrechtsbruch der Putinschen Invasion der Ukraine schönzureden, bleiben auch im aktuellen Krieg viele Frage offen.
Ich jedenfalls kann mich nicht jenen anschließen, die sich jetzt aus vollem Herzen als Transatlantiker outen, als ginge es um eine Art politischer Superbowl. Nicht denen, die – gerade weil sie sie zuvor verteidigt hatten – jetzt alle Merkelsche Politik in den Kübel werfen. Die vielmehr „die Kanzlerin“ posthum zur Schuldigen der Reduktion von Rüstungsbudgets erklären, die Ampelkanzler Scholz nun unter Standing Ovations aufgibt und endlich in jene Dimension bringt, die Donald Trump unter heftigem europäischem Murren vergebens eingefordert hatte.
Angela Merkel kann sehr wohl das Dichterwort für sich in Anspruch nehmen „’s ist leider Krieg, und ich begehre, nicht schuld daran zu sein.“ Die Falken und ihre triumphierende Told-You-So-Blutrünstigkeit können mir gestohlen bleiben. Panzerfäuste gewinnen nicht an moralischer Qualität, auch wenn sie aus Notwehr abgefeuert werden.
Ich kann mich nicht darüber freuen, dass die globale Rüstungsindustrie nach dem verlorenen afghanischen Markt nun einen mehr als adäquaten Ersatz gefunden hat; und ich wünsche der Ukraine nicht, sie möge Putins Afghanistan werden, obwohl ich diese Perspektive durchaus sehe. Und dass am Ende den Oligarchen genommen und den Bedürftigen gegeben wird, das glauben nicht einmal Träumer.
Ich kann mich nicht darüber freuen, dass ich in einem blutigen Konflikt heroische Tugenden bewundere, die doch längst dem Sturm der Schneeflocken zum Opfer gefallen schienen. Den Mut des als Komikers unterschätzten ukrainischen Präsidenten, den Mut der ukrainischen Bürgerinnen und Bürger, die sich gegen Panzer und Raketen wehren, den Mut der Kriegskorrespondenten und -korrespondentinnen – ich bewundere sie allesamt uneingeschränkt und hasse und verachte doch den Krieg, der sie veranlasst.
Gerade als Krausianer, also als Schüler des großen österreichischen Kriegsfeindes Karl Kraus (der paradoxerweise unser größter Polemiker war), muss man alles als lächerlich empfinden, was zu einem Krieg gesagt wird, ohne ihn zugleich zutiefst abzulehnen. Das gilt zuerst für einen selbst.
Umso tragischer der Zwiespalt, doch jene beim Kampf unterstützen zu wollen, denen offenkundig Unrecht angetan wird.
Was mich auch nicht freut, ist Besserwisserei auf allen Seiten. Sie ist unter digitalen Verhältnissen wirklich fatal. Sobald eine Katastrophe geschieht, bricht der Aufmerksamkeitswettbewerb aus. Der hat vielleicht entfernt mit Aufklärungswettbewerb zu tun, erreicht aber oft das Gegenteil. Denn im Wettlauf der Erste oder die Schnellste mit einer originellen Information, einem Video von viralem Potential oder einem coolen Spruch zu sein, überspringt man allzu hastig jene Hürde, die der Recherchegott uns als erste gesetzt hat: Nimm dir Zeit, die Quellen zu überprüfen. Schau, wen du da retweetest, postest, verbreitest.
Der nächste Schritt besteht dann darin, dass genau jene Dienste, die durch ihre Struktur den Wettbewerb um Aufmerksamkeit anheizen, weil gesteigerte Aufmerksamkeit ihnen selbst über Werbefinanzierung zugute kommt, dass genau jene Dienste dann nützliche kleine Handreichungen anbieten, wie man sich im Krisenfall richtig zu verhalten habe.
Das wollen wir nicht geringschätzen. Es kommt einem aber vor wie ein Anbieter von Zuckerwolle auf einem Jahrmarkt, der jedem, der seine Ware kauft, einen kleinen Infozettel über die Gesundheitsschädlichkeit von Zucker in die Hand drückt.
Wir geben dem Affen Zucker und merken wie immer nicht, dass wir uns dabei selbst zum Affen machen.
Das alles verblasst vor dem blutigen Hintergrund des Krieges. Leider gehört es zu ihm; denn wie wir aus der Tatsache lernen, dass diverse Tech-Konzerne nun russische Medien ausschließen, dass Elon Musk der Ukraine mit Satelliten beisteht, um das Netz aufrechtzuerhalten, können wir uns vom Mythos, es handle sich um neutrale Plattformen, nun endgültig verabschieden.
Niemand ist neutral. Man kann und muss angesichts all der Unmenschlichkeit nur versuchen, sich dennoch angemessen menschlich zu verhalten.
Ich wünsche ihnen trotzdem eine schöne Woche,
Ihr Armin Thurnher
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