Kowall und Zwander - FALTER.maily #1100
Ich möchte Ihnen heute von zwei Sozialdemokraten erzählen, die ich in den vergangenen Jahren doch recht intensiv beobachten konnte und die ...
Als dilettantischer Dorffestveranstalter ist mir schleierhaft, wie Ewald Tatar das in zwei Wochen stemmen konnte.
Länger hat der Novarock- und Frequency-Organisator nicht gebraucht, um das größte Konzert seit zweieinhalb Jahren ins Praterstadion zu bringen. Die Karten für das Charityevent "We Stand With Ukraine" kosteten 19,91 Euro (das Gründungsjahr des Staates), das Geld ging an "Nachbar in Not", alle waren freundlich, nichts war kompliziert, zwischendurch sprach der Bundespräsident.
Um ihn eine Leistungsschau der Popmusik, von FM4-Stars Mavi Phoenix und Bibiza zu den Ö3-Giganten Seiler und Speer und Pizzera & Jaus. Für den Frieden hat das Mischpublikum das Beste aus der jeweils anderen Welt mitgetragen, gelb-blaue Farbe ins Gesicht, zwei Finger zum Himmel, da pfeift man keinen aus. Nicht einmal, als der Chor der Aufgetretenen zum Schluss "Imagine" von John Lennon sang, mit Ina Regen am Klavier.
Benefizkonzerte sind eine überlieferte westliche Kulturtechnik: Live Aid 1985 in London und Philadelphia gegen den Hunger in Äthiopien. Das Freddie-Mercury-Tribute 1992 in London gegen Aids. Das Concert For New York City für die Retter beim Terroranschlag 2001.
Die Kritik kam stets so schnell wie die Starnamen am Line Up. Tradierte Argumente: Einer Partie von Künstlern gehe es nur um Publicity, die Zuschauer würden niederen Partygelüsten ein edelmutiges Manterl umhängen, Großevents könnten die Verhältnisse auf der Welt doch nicht umkehren.
In der Social-Media-Welt ist man ja angehalten, gegen alles zu sein, und ein "Jetzt bitte einmal alle den Krieg ausbuhen" aus dem Mund von Marco Wanda wird Putins Blutrausch wahrscheinlich wirklich nicht stoppen, tausende Handyblitze die Luftschutzkeller in Mariupol nicht erhellen.
Aber Benefizkonzerte sind halt auch für jene, die hingehen. Die in düsteren Zeiten eine gute Zeit ohne schlechtes Gewissen haben wollen. Es war also keine Andacht am Samstag, sondern eine Party, wenn tausende junge Körper zu Yung Hurns Zeile "Sie hat Wichse aufm Gesicht, sie braucht Zewa" ineinanderspringen, ist kein politisches Moment mehr zu erkennen.
Das Konzert am Samstag brachte ohnehin ein neues Argument der Charitykritik zutage (für Fallbeispiele konsultieren Sie Twitter oder das Standard-Forum): Gedankenlos, in der Hochpandemie 40.000 Maskenlose Schulter an Schulter röhren zu lassen. Allerdings in einem Land, in dem seit 5. März ("Freedom Day") die Discos gesteckt voll sind, ohne Besucherlimit und Sperrstunde, ohne Masken- oder Testpflicht. Wo im Westen Österreichs die Après-Ski-Industrie aufersteht und im Westen Wiens 26.000 zum Fußballderby gehen, macht ein Freiluftkonzert keinen Unterschied mehr.
Was zählt, ist, was rausschaut. 810.337 Euro sind ein Patzen Geld, den Ewald Tatar dem Volkshilfe-Geschäftsführer Erich Fenninger am Ende überbracht hat. Das ist nur einmal der Ticketumsatz, noch nicht das Geld aus den Bierkassen und Spendenboxen. Die Ukraine kann es brauchen.
Ihr Lukas Matzinger
Egal, wie man es dreht und wendet: Die Band Bilderbuch spielt einfach in einer anderen Klasse als alle anderen. Hier sehen Sie den Auftritt der Poppioniere vom Samstag in voller Länge. Das neue Album "Gelb ist das Feld" wird am 8. April erscheinen.
Ein Interview mit dem Mann hinter dem Benefizkonzert, Ewald Tatar, finden Sie in der aktuellen Kultur- und Programmbeilage des FALTER, der FALTER:WOCHE.
Im FALTER-Radio hören Sie einen Mitschnitt des Matinees von Lukas Resetarits und Armin Thurnher, das vergangenen Sonntag im Wiener Stadtsaal stattgefunden hat. Darin enthalten: Musik, Literatur und Erstaunliches über die Parallelen in den Biografien des Duos. Viel Spaß beim Hören!