Der Fall Eva Dichand und die Würdelosigkeit der SPÖ - FALTER.maily #1054
ich möchte sie in diesem Maily in aller Kürze über zwei Angelegenheiten in diesem Land informieren, die mich heute beschäftigten ...
Meinem heutigen Maily muss ich eine Trigger-Warnung voranstellen. Sie werden in diesem nicht unknapp mit menschenverachtender Rhetorik konfrontiert werden. Falls Sie eine eher harmonische Weltsicht bevorzugen sollten, würde ich Ihnen für diesmal die Nutzung alternativer Kanäle empfehlen. Für alle anderen darf ich aber als kulinarischen Teaser gleich ein kleines Quiz in Aussicht stellen, das von beliebig vielen Personen bestritten werden kann und sich gut dafür eignet, den Ehe- und Familienalltag aufzupeppen oder Lebensgemeinschaften und geselligen Zusammenkünften etwas zusätzlichen Schwung zu verleihen. Es geht darum, die vorerst anonymisierten Zitate korrekt zuzuordnen, sprich, um die richtigen Antworten auf die Frage „Wer hat’s (wann) gesagt?"
1. „Das höhnisch grinsende Ungeziefer des Gangstertums wird in die Zellen gescheucht werden, wo es hingehört, und Xxxxxx wird wieder eine freie Nation sein, frei von erzwungenen Abgaben politisch protegierter Freibeuter."
2. „Die Xxxx sind die Läuse der zivilisierten Menschheit, man muss sie irgendwie ausrotten."
3. „Die Vielfalt der Kontrolle über die Reichen, Gauner und Faulpelze ist die Gewähr für den Erfolg bei der Erreichung eines allgemeinen Ziels: der Säuberung des xxxxxxxxxx Landes von allen schädlichen Insekten, von Flöhen und Wanzen. […] Am vierten [Tag] wird man standrechtlich einen von zehn des Müßiggangs Schuldigen erschießen."
4. „Auf einen solchen ,Braten‘ werden sich die Fliegen stürzen wie auf Aas, monströse fette Fliegen, da wird jegliches bourgeoises Ungeziefer aus dem Ausland herbeikriechen."
5. „Aber jedes Volk, insbesondere das xxxxxxxxx wird immer in der Lage sein, wahre Patrioten von Verrätern zu unterscheiden. Man spuckt sie aus, wie eine Fliege, die einem zufällig in den Mund geflogen ist.“
6. „Doch du bist erst Herr im Haus / Kämpfer mit dem roten Stern, / Wenn zerquetscht ist jede Laus, / Die da dient den alten Herrn. / Darum vorwärts, vorwärts Bolschewik / Gegen Hunger, Dreck und Blut / Für Sowjet und Republik / Tod den Weißen und der Läusebrut."
7. „Er ist und bleibt der typische Parasit, ein Schmarotzer, der wie ein schädlicher Bazillus sich immer mehr ausbreitet, sowie nur ein günstiger Nährboden dazu einlädt. Die Wirkung seines Daseins gleicht ebenfalls der von Schmarotzern: wo er auftritt, stirbt das Wirtsvolk nach kürzerer oder längerer Zeit ab."
Ich nehme einmal an, dass sich zumindest die Hälfte der Zitate ideologisch und historisch einigermaßen unschwer korrekt zuordnen lassen. Es könnte aber sein, dass man sich bei dem ein oder anderen grob vertut, und einige sind tatsächlich etwas knifflig. Zum Beispiel gleich das Erste, das den wenigsten vertraut sein dürfte. Es stammt aus dem „FBI Law Enforcement Bulletin" vom Juni 1936 und wurde vom damaligen FBI-Direktor J. Edgar Hoover verfasst.
Nummer 2 war „leicht", und die Antwort auf die Frage „Hitler oder Goebbels?" lautet: Letzterer. Es handelt sich um einen Tagebucheintrag nach dem Besuch des Ghettos von Wilna im November 1941. Womit wir beim dritten Zitat wären, bei dem manche vielleicht etwas daneben gelegen sind. Jene nämlich, die auf einen Ausspruch Josef Stalins in den 1930er-Jahren getippt hätten. Das Zitat ist allerdings etwas älter und stammt auch nicht von Stalin, sondern von Lenin – und zwar aus einem zu Lebzeiten unveröffentlichten Aufsatz von 1917. Bei Nr. 4 bleiben wir in der Sowjetunion, allerdings stammt es schon wieder nicht von Stalin, sondern von seinem Nachfolger Nikita Chruschtschow, der die entsprechende Rede im Jahr 1963 gehalten hat (und zwar ausgerechnet am Internationalen Frauentag).
Das fünfte Beispiel hat sicher die höchste Trefferquote. Es ist Wladimir Putins Fernsehansprache von letzter Woche entnommen (das Wort, das er verwendet ist tatsächlich „Мушка" – also Fliege und nicht die Mücke, wie in den Untertitel zu lesen ist). Das Lied, aus dem die Strophe und der Refrain von Nummer 6 stammt, wird in der deutschen Übersetzung von Peter Hacks als „Vorwärts, Bolschewik" oder „Lied von den Läusen" geführt. Der Original-Text stammten von Wladimir Majakowski, die Musik vom großen Hanns Eisler und deren martialisches Pathos wurde vom DDR-Barden Ernst Busch – soll man sagen: kongenial? – umgesetzt. Und Nummer 7 schließlich ist nun tatsächlich aus Hitlers „Mein Kampf".
Dieser kleine Auszug aus dem Wörterbuch des Unmenschen belegt, dass dieses durchaus nicht nur von den Nazis mit Einträgen versorgt und auch nicht ausschließlich in totalitären Regimen benutzt wurde; wobei der Gebrauch solch menschenverachtender Rhetorik gewiss ein solides Indiz ist, um auf totalitäre Tendenzen respektive Gesinnung schließen zu lassen.
Apropos Totalitarismus. Den hat, wie manchen meinen, der vielleicht hellsichtigste Schriftsteller des 20. Jahrhunderts in seinem Werk vorausgeahnt. Die Rede ist natürlich von Franz Kafka, dessen berühmteste Erzählung bekanntlich davon handelt, dass der Handlungsreisende Gregor Samsa eines Tages erwacht und „sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt [fand]". „Die Verwandlung" ist im Jahr 1912 entstanden und erschien drei Jahre später, als die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts" (George F. Kennan) schon voll im Gang war. „Die Verwandlung" ist nicht aus der Perspektive des Täters erzählt, dem aus der Identifizierung von Menschen mit Ungeziefer die Legitimität erwächst, dieses zu vernichten, sondern aus der genau entgegengesetzten. Man könnte Kafkas Erzählung also auch als eine Parabel auf jene Praxis bezeichnen, die man heute als „othering" bezeichnet (und ich habe den dringenden Verdacht, dass dazu schon die ein oder andere Seminar- oder Diplomarbeit verfasst wurde).
Ihr Klaus Nüchtern
Der ukrainische Präsident Selenskyj ist jene Figur, in der sich „der Westen" gerade gerne spiegelt. Isolde Charim macht in ihrem Kommentar darauf aufmerksam, dass das Spiegelbild, das wir zu erblicken meinen, aber nur das halbe ist; und zwar deswegen, weil wir in „unserem demokratischen Vampirismus" die andere Hälfte nicht sehen wollen: Es zeigt das Antlitz des ehemaligen deutschen Bundeskanzlers, Putin-Freundes und Büttels des russischen Petro-Regimes Gerhard Schröder.
Nein, Feelgood-Lektüre ist das keine, aber wenn man sich über die Vernichtungspolitik Hitlers und Stalins informieren möchte, die zwischen 1933 und 1945 zig Millionen Menschen aus Polen, den baltischen Staaten, Weißrussland und der Ukraine das Leben kostete, dann kommt man an dem mehrfach ausgezeichneten Buch „Bloodlands" des US-amerikanischen Historikers Timothy Snyder – er ist im Übrigen Permanent Fellow am in Wien ansässigen IWM – nicht vorbei. Wenn Sie sich für die totalitäre Ungeziefer-Metaphorik interessieren, möchte ich Ihnen den Aufsatz „Ungeziefer, Aas und Müll. Feindbilder der Sowjetpropaganda" von Daniel Weiss empfehlen, der in der Österreichischen Zeitschrift für Geschichtswissenschaften (Heft 3 / 2005) erschienen ist und dem ich auch einige der oben angeführten Zitate entnommen habe.
Armando Ianuccis bitterböse Filmsatire „Death of Stalin" (2017) fällt eindeutig in die Rubrik „mit Entsetzen Scherz treiben". Sie ist dennoch verdammt komisch und exzellent besetzt – unter anderem mit Steve Buscemi als Nikita Chruschtschow, Michael Palin als Wjatscheslaw Molotow und Jeffrey Tambor als Georgi Malenkow.
In meiner Tätigkeit als Musikproduzent ist es mir gelungen, über die Jahre auf dem von mir betriebenen Jazz-Label Handsemmel Records einen kleinen Backkatalog aufzubauen („Backkatalog" im Sinne des englischen „back" – aber die „Gebäck"-Assoziation ist in dem Zusammenhang natürlich auch nicht falsch). Das soeben erschienene Album „The Mighty Roll" ist die zehnte Veröffentlichung. Zu hören ist das Handsemmel Workestra, das unter dem Projektleiter Clemens Wenger altgediente Handsemmel-Artists wie Max Nagl oder Herwig Gradischnig mit jüngeren Vertretern der lebendigen heimischen Szene wie Beate Wiesinger und Leo Skorupa zu einem ebenso feinsinnig wie schlagkräftig agierenden Nonett vereint. Christian Bakonyi war so freundlich, mich aus diesem Anlass in die aktuelle Ausgabe der Ö1-Jazznacht einzuladen und (nicht nur) das jüngste Album vorzustellen. Sie können die Sendung noch bis zum nächsten Samstag in der Radiothek nachhören. (Und natürlich können Sie die Handsemmel-CDs auch käuflich zu erwerben suchen).