Happy End nach Zwangsouting - FALTER.maily #777

Nina Horaczek
Versendet am 07.04.2022

Heute um 12.40 Uhr bekam ich einen ganz besonders schönen Anruf. Da hat sich Firas aus Graz bei mir gemeldet und seine Stimme überschlug sich fast vor Glück.

Ich habe Firas im Herbst 2018 in Graz kennengelernt. Damals war er sehr verzweifelt, hatte Angst, abgeschoben zu werden und bat mich, im Artikel nicht seinen echten Namen zu schreiben, sondern ihn "Fadi" zu nennen.

Denn wenige Wochen zuvor hatte der gebürtige Iraker seine Einvernahme bei der Asylbehörde gehabt. Zuerst fragte er den Asylbeamten, ob die Einvernahme vertraulich sei, ob er darauf vertrauen könne, dass seine Familie nichts erfahre. Natürlich sei alles vertraulich und Firas sei verpflichtet, in seiner Asyl-Einvernahme die Wahrheit zu sagen. Dann schüttete Firas dem Beamten sein Herz aus: Er habe immer schon gewusst, dass er schwul sei. Aber weil Homosexualität im Irak als Sünde gegen die Religion gilt, weil muslimische Fundamentalisten Schwule ermorden, habe er sich niemandem anvertraut - auch seiner Familie nicht. Auch nachdem er mit Vater und Bruder nach Österreich geflüchtet war, führte er ein Doppelleben: Zu Hause galt er als der brave Sohn, der noch nicht die Richtige gefunden hat. Aber er war längst in die Gay Community eingetaucht. Er war bei den RosaLila PantherInnen in Graz aktiv, schmückte den Tuntenball mit Blumen, saß beim schwul-lesbischen Halloweenfest an der Kassa und tanzte auf der Regenbogenparade.

Zwei Wochen später hatte Firas Vater seine Asyl-Einvernahme, ebenfalls bei diesem Asylbeamten. "Ihr Sohn Firas hat angegeben, seit seinem 16. Lebensjahr homosexuell zu sein. Was sagen Sie dazu? Können Sie das bestätigen?", fragte der Richter. Durch dieses Zwangsouting erfuhr Firas Familie, dass der Sohn keine Mädchen, sondern Burschen liebt.

Einige Wochen später bekam Firas seinen Asylbescheid zugestellt. Sein Asylantrag sei abzulehnen, weil er sich bei der Befragung eines "überzogenen ,mädchenhaften' Verhaltens eines ,sexuell anders Orientierten' bedient" habe. Das sei "lediglich gespielt, aufgesetzt und nicht authentisch" gewesen. Außerdem sei die "angebliche sexuelle Andersausrichtung ein nicht allzu großes Bedürfnis in Ihrem bisherigen Leben gewesen", folgerte der Richter daraus, dass Firas sich im Irak nicht getraut hatte, mit Männern sexuell zu verkehren, weshalb "eine Rückkehr in die Heimat aus diesen Gründen somit jedenfalls zumutbar erscheint".

Firas berief gegen diese Entscheidung. Dann hieß es warten. Und zwar jahrelang. Jetzt, sieben Jahre später, gibt es für Firas endlich ein Happy End. Heute Vormittag hat er bei seiner Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht Asyl bekommen. Das Gericht erkannte an, dass ihm als Homosexuellen im Irak Verfolgung droht. Er darf in Österreich bleiben und kann endlich seine Ausbildung zum Altenpfleger beginnen. "Einen fixen Ausbildungsplatz habe ich schon", erzählte er mir am Telefon.

Ihre Nina Horaczek


Böse

Kennen Sie Justyna Wydrzyńska? Sie muss sich morgen vor einem polnischen Gericht verantworten. Ihr "Verbrechen": Sie hat einer Frau, die in einer Gewaltbeziehung lebt und schwanger war, die Abtreibungspille besorgt. Wydrzyńska, 37 Jahre alt und selbst dreifache Mutter, ist die erste Angeklagte nach dem im Jänner 2021 eingeführten Anti-Abtreibungsgesetz, das Schwangerschaftsabbrüche in Polen nahezu vollständig verbietet. Bei einer Verurteilung drohen ihr bis zu drei Jahre Haft. Erst im Jänner war eine 30-jährige Frau in Polen nach schweren Schwangerschaftskomplikationen an einer Sepsis gestorben, weil die Ärzte es nicht wagten, ihr Leben durch eine Abtreibung des Fötus zu retten. Wer polnischen Frauen helfen möchte: Die Gruppe Ciocia Wienia organisiert und finanziert Reisen für ungewünscht Schwangere aus Polen nach Wien, um hier sicher eine Abtreibung durchführen lassen zu können.


Buchtipp

Gewalt an Frauen und die ungerechte Verteilung von Care-Arbeit in der Familie bearbeitet die Autorin Mareike Fallwickl in ihrem neuen Roman "Die Wut, die bleibt". Im FALTER-Buchpodcast spricht Fallwickl mit Moderatorin Petra Hartlieb darüber, wie die beiden Phänomene miteinander zusammenhängen.


Podcast

Im Osten nichts Neues: Ungarn und Serbien haben ihre alten Machthaber wieder gewählt. Was bedeutet das für das Verhältnis der beiden Länder mit Russland und der EU? Das hat Barbara Tóth im FALTER-Podcast den Politologen Gerald Knaus, die Kommunikationswissenschaftlerin Krisztina Rozgonyi, den Journalisten Márton Gergely und den Spitzendiplomaten Emil Brix gefragt. Die Sendung können Sie heute um 19 & 23h auch auf dem Wiener Stadtsender W24 sehen.


Noch Ein Buchtipp

Rechtspopulistische Politiker werden vom russischen Präsidenten Vladimir Putin schon seit Jahren umworben, finanziert und untereinander vernetzt. Die Agenda dahinter: einen Keil zwischen die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zu treiben. Wie dieses Ziel auch mit den Mitteln der Propaganda, Spionage und Sabotage verfolgt wird, erfahren Sie in "Putins rechte Freunde" (Falter Verlag) von Michel Reimon und Eva Zelechowski.


Was Sie Lesen Sollten

Wenn Sie Vladimir Putin und seinen Krieg besser verstehen wollen, empfehlen wir unsere neue FALTER-Serie "Putin verstehen" von Robert Misik. In Teil 2 der Serie geht es um die von Putin zusammengeschusterte Staatsideologie, die aus autokratischem Führerkult, Patriotismus, Imperium, orthodoxer Spiritualität – und Gekränktheit besteht. Um keinen Text zu verpassen, können Sie "Putin verstehen" hier als kostenlosen Newsletter abonnieren.


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