Aus dem Leben eines Kritikers - FALTER.maily #1045
Übermorgen erscheint die nächste Ausgabe der FALTER-Buchbeilage. Gerlinde Pölsler (Sachbuch), Kirstin Breitenfellner (Kinderbuch) und ...
SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner hat eine so kluge wie fatale Strategie, Österreichs erste Kanzlerin zu werden. Sie kommt auf Samtpfoten daher. Nach dem Motto: Nur nicht auffallen, dann kann man auch nicht reinfallen. Lieber dabei zuschauen, wie sich der Hauptkonkurrent, die ÖVP unter ihrem Kanzler Karl Nehammer zerspragelt als mit eigenen Ideen und Initiativen etwas riskieren.
Kurz vor dem 1. Mai, dem Tag der Arbeit, klettert die SPÖ so in den Umfragen bei der Sonntagsfrage bis an die 30-Prozent-Grenze, dahinter liegt die ÖVP mit der FPÖ fast schon wieder Kopf an Kopf. Die Impfkritiker-Bewegung MFG verliert an Zuspruch, weil die Corona-Massnahmen gelockert werden. Ein links-liberales Bündnis (SPÖ mit Grünen und Neos) wird greifbarer.
Am Sonntag wird Rendi-Wagner, die nicht nur Parteichefin, sondern auch außenpolitische Sprecherin ihrer Partei ist, in der ORF-Pressestunde sitzen. Da wird sie sich sicher vorhalten lassen müssen, wie sich die SPÖ zum Krieg positioniert.
Warum zögerte sie, den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj per Liveschaltung ins Hohe Haus zu beamen, wie es die Neos beharrlich einfordern? Warum ruft sie die sozialistischen Jugendorganisationen nicht zur Ordnung, die nicht nur Russlands Autokraten Wladimir Putin, sondern auch der Nato und dem Westen Kriegstreiberei vorwerfen? Wenigstes muss sie nicht auch noch über die Frage von Waffenlieferungen nachdenken, anders als ihr deutscher Parteikollege und Kanzler Olaf Scholz. Österreichs Neutralität sei Dank.
Der Kern des Vorwurfs an beide Sozialdemokraten ist, dass sie zu zauderlich sind. Aber zu zögern, auch mal keine schnelle Antwort oder Lösung zu haben, hat gerade jetzt einen Wert an sich.
Selenskyj im österreichischen Parlament sprechen zu lassen, mag eine populäre Geste gewesen sein. Aber dieses Momentum ist seit Wochen vorbei. Österreich kann der Ukraine viel besser helfen, in dem es bei der Aufklärung und Verfolgung der russischen Kriegsverbrechen hilft, ukrainischen Frauen, die Vergewaltigungsopfer russischer Soldaten wurden, schnelle Hilfe anbietet (was auch Zugang zu Abtreibungen bedeutet) und natürlich alle Flüchtlinge, darunter fallen auch Deserteure, aufnimmt und eine neue Heimat gibt.
Im Angesicht des Putin´schen Angriffskrieges muss die SPÖ ihre antikapitalistische, antiimperialistische und pazifistische Tradition hinterfragen und neu diskutieren. Aber wer sonst wenn nicht die junge Linke soll sich zum Beispiel darüber Gedanken machen, wie Krieg die benachteiligten Klassen noch weiter schwächt und gleichzeitig den militärischen Komplex stärkt? Das ist keine Relativierung Putins und seines Faschismus, sondern Kapitalismuskritik.
Gerade in Zeiten wie diesen sind differenzierte Auseinandersetzungen wertvoller denn je. Pazifistische Standpunkte stehen derzeit am Rand - dennoch haben sie eine Berechtigung. Ostermärschlern zu unterstellen, sie seien die fünfte Kolonne Putins, wie es jüngst Alexander Graf Lambsdorff in der Zeit gemacht hat, ist plump und bringt uns nicht weiter. Eine der größten Gefahren derzeit scheint zu sein, dass wir die verrohten Debattenmuster aus der Pandemie eins zu eins auf den Ukraine-Krieg übernehmen und lieber in Schwarz und Weiß statt in Grautönen denken.
Der Russland-Experte Gerhard Mangott hält weitere Waffenlieferung des Westens an die Ukraine etwa für "fahrlässig", wenn sie den Krieg und das Leid nur verlängern und Russlands Sieg verzögern. Anders sähe es aus, wenn man sich sicher sein kann, dass Waffenlieferungen Putins Invasion beenden, argumentiert Mangott. Diese Gewissheit gibt es derzeit leider nicht, deshalb sollten sich weder Experten noch Politiker mit absoluten Meinungen schmücken.
Rendi-Wagner scheute schon vor dem Krieg die Schlagzeilen, sie zierte sich mit Interviews, sie geizte mit Instant-Meinungen. Was ihr lange als Schwäche angekreidet wurde, könnte zu ihrer Stärke werden. Eines hat sie jetzt schon erreicht. Durchhaltevermögen spricht ihr niemand mehr ab. Man kann Wahlsiege auch ersitzen. Spätestens dann muss man aber liefern.
Ihre Barbara Tóth
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