Solidarität, Rendi-Wagner und die geschundene Ukraine - FALTER.maily #789

Raimund Löw
Versendet am 24.04.2022

In der ORF-Pressestunde wehrte sich heute Pamela Rendi-Wagner gegen den Vorwurf, dass die SPÖ zu Russlands Ukraine-Krieg nichts einfällt. Sie hat unzählige Telefonate geführt, sagt die SPÖ-Vorsitzende, sogar mit dem ukrainischen Botschafter. Aber von Solidarität mit dem ukrainischen Widerstand gegen den russischen Angriff war nichts zu hören. Putins Aggression hat die SPÖ natürlich längst verurteilt. Wer aber erwartet hat, dass die SPÖ-Vorsitzende vor dem großen TV-Publikum ihr Entsetzen über die russischen Kriegsverbrechen ausdrückt, wurde enttäuscht. Nichts darüber, ob es Rendi-Wagner eigentlich richtig findet, dass die Europäische Union den Verteidigern Waffen liefert, auch mit dem Okay Österreichs. Kein Wort über die sicherheitspolitische Umbruchsituation, die Putins Aggression für Europa geschaffen hat.

Olaf Scholz hat vom russischen Angriffskrieg als Zeitenwende gesprochen. Ein verstörtes Deutschland hadert seither mit den Konsequenzen dieser Erkenntnis. Bei der österreichischen Parteivorsitzenden weiß man nicht so recht, ob sie die Dramatik der neuen Realität überhaupt wahrnimmt. Oder ob die SPÖ glaubt, dass geopolitisches Wegschauen eine kluge Taktik für die verunsicherte heimische Öffentlichkeit ist.

In ganz Europa sind die Sozialdemokraten in ihrer Haltung zum Ukraine-Krieg gespalten. Wichtige Strömungen wollen die Bedrohung durch den kriegerischen Totalitarismus des Putin-Regimes nicht wahrhaben. Sie hängen der Entspannungspolitik einer früheren Epoche an. Aber die Codes der Ostpolitik unter Willy Brandt vor 50 Jahren führen heute zu Appeasement gegenüber einem mit Atomwaffen drohenden Aggressor. Ganz anders agieren die sozialdemokratischen Regierungschefinnen der EU-Mitgliedsstaaten Finnland, Schweden und Dänemark. Sie haben eine grundlegende Revision der Sicherheitspolitik in ihren Ländern eingeleitet. Zuwachs für die NATO aus Skandinavien ist wahrscheinlich. Rendi-Wagner sieht keinen Anlass über die österreichische Neutralität auch nur zu diskutieren.

Putins Krieg gegen die Ukraine wird so bald nicht zu Ende gehen. Er ist nicht auf das Nachbarland selbst beschränkt, wie die Drohungen gegen Moldau von letzter Woche zeigen. Letztlich besteht das Kriegsziel des Kreml in einem europaweiten Rollback der in den Revolutionen von 1989 erkämpften Freiheiten. Im Inneren Russlands läuft eine Säuberungswelle unter totalitären Vorzeichen. Gegen welche Außenfeinde Putin militärische Gewalt in Zukunft noch einsetzen wird, kann niemand sagen.

Die Sozialdemokratie war einmal so etwas wie eine internationale Partei. Mit Hilfe der Sozialistischen Internationale haben Willy Brandt, Olaf Palme und Bruno Kreisky eigene Akzente in der Weltpolitik gesetzt. Im Bruno Kreisky-Forum hat Ex-Kanzler Vranitzky seiner Nachnachnachfolgerin Pamela Rendi-Wagner im Herbst einen Rat gegeben: Sie sollte wieder die Funktion eines Internationalen Sekretärs der SPÖ einführen. Es geht nicht um Posten sondern darum, ob eine potentielle Regierungspartei ohne internationale Identität auskommen kann.

Rendi-Wagner sagt, sie wünscht sich Österreich als friedensstiftende Dialogmacht. Das klingt gut, ob Realismus dahinter steckt, darf bezweifelt werden. Die große Frage ist: Dialog mit wem und zu welchem Zweck? In Russland gibt es weltoffene Bürger, demokratische Intellektuelle, Medienleute und Oppositionelle, die über die in Richtung faschistischer Methoden abgleitende Staatsmacht verzweifelt sind. Gerade die SPÖ könnte für russische Demokraten zur Anlaufstelle werden. Es gibt kluge Ukrainer, die wissen, dass es nach dem Krieg ein Leben mit einem hoffentlich geläuterten Russland geben wird. Könnte die österreichische Sozialdemokratie nicht versuchen, russischen Oppositionellen und ukrainischen Demokraten einen Boden für Dialog und Verständigung in Wien zu schaffen? Verständigung über Kriegsgrenzen, wenn noch gekämpft wird, ist wahnsinnig schwer. Klar. Gelebte Solidarität mit dem Widerstandskampf der Ukraine und mit Kriegsgegnern in Russland würde auch der SPÖ helfen, in der gefährlichen neuen Welt Orientierung zu finden, meint

Ihr Raimund Löw


In Eigener Sache

Voller Bestürzung haben wir vor wenigen Stunden vom Tod von Willi Resetarits erfahren. "Das heißt nicht nur, die Wüste wächst. Das heißt: eine kräftige, hohe Sanddüne rieselt seit gestern nach Wien herein", schreibt Armin Thurnher in seinem Nachruf. Und: "Der Falter und der Willi, das ist eine gemeinsame Geschichte über Jahrzehnte. Ich bin zu traurig, um nachzuzählen, aber Willi Resetarits war gewiss eines der am häufigsten vorne auf dem Blatt auftauchenden Motive; Willi-Covers gab es mehr als Covers irgendeiner anderen Person."

Im Sommer 2016 war er zum Beispiel am Cover, als ihn Kollegin Stefanie Panzenböck zum großen Porträt im Garten des Floridsdorfer Hauses traf, das seine Eltern vor Jahrzehnten für ihre Kinder gebaut hatten. "Ein freundlicher Ort", schrieb sie, und der Text trägt auch den Titel "Der Menschenlieber". Ihren Artikel lesen Sie hier. Ende 2018, zu seinem 70er, holte er alle befreundeten Musikerinnen und Musiker zu einem Geburtstagskonzert auf die Bühne, das Interview von damals lesen Sie hier.

Thurnhers Nachruf endet mit: "Du warst einer, der geholfen hat, ohne zu fragen, warum. Wer hilft uns jetzt?" Gute Frage.


Aus Der Welt 1

Für den Falter schreibt Robert Misik gerade eine Online-Reihe namens "Putin verstehen". In Folge 8 schreibt er über die Ukraine. Ukraine? Die gibt’s doch gar nicht! Putin inszeniert sich als der oberste Historiker des Landes. Gerade in Hinblick auf die Ukraine ist es zentral – und extrem fatal. Hier lesen Sie seinen Text.


Aus Der Welt 2

Im Falter Radio habe ich letzte Woche drei Berichte aus Afrika geliefert. Bei Teil 3 der Afrikanischen Perspektiven ging es um Geisel Patentrechte und Corona. Wie westliche Patenrechte den Kampf gegen Covid erschweren und warum der König von Swasiland in der Pandemie noch diktatorischer wird. Zu hören: der Oppositionelle Wandile Dludlu und von Ärzte ohne Grenzen aus der Stadt Mbabane in Eswatini Bernhard Kerschberger.


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