Aufruhr im Science Twitter

Katharina Kropshofer
Versendet am 28.04.2022

Die Verträge sind unterschrieben: 44 Milliarden US-Dollar wird Elon Musk zahlen und so die Plattform Twitter erworben haben. Neben Facebook, Instagram und Youtube wird somit die nächste digitale Plattform in der Hand eines Milliardärs liegen. Männer, die zu den 0,00001 Prozent der reichsten US-Amerikaner zählen, werden dann Entscheidungen treffen, die Millionen Menschen berühren. 

Die Diskussion, was der Kauf für die Meinungsfreiheit heißen wird, ist momentan noch Spekulation. Musk hat aber in der Vergangenheit immer wieder anmerken lassen, was er von “Zensur” und “Einschränkung von Informationen” hält (auch Armin Thurnher hat sich darüber Gedanken gemacht).

Besonders interessant wird das auch für "Science Twitter", also dem Teil der Plattform, in dem Wissenschafterinnen und Wissenschafter Informationen teilen, sich untereinander und mit Journalist:innen oder Aktivist:innen vernetzen und mitunter auch Warnungen auszugeben. So wurde zum Beispiel der "March for Science" (eine Großdemonstration in Trump-Zeiten, bei der in 600 Städten auf die zunehmende Einschränkung der Wissenschaft hinzuweisen) auf Twitter gegründet. 

Doch Wissenschafts-Twitter ist auch ein Ort, an dem Klimawandel- oder Coronaleugner Forscher:innen attackieren, Bots ungefiltert falsche, nicht-evidenzbasierte Kommentare hinterlassen.

Was passiert, wenn all das nicht mehr reguliert wird? Keine Labels auf Falschinformationen geklebt werden? 

Zwei Gedankenspiele: 

Dass Elon Musk und Bill Gates keine guten Freunde sind, dürfte nicht überraschen. Immerhin hatte Microsoft-Gründer Bill Gates gegen Tesla-Aktien gewettet. Musk fand das gar nicht lustig und machte sich - ziemlich unter der Gürtellinie - über seinen Milliardärskollegen lustig. 

Als Verschwörungstheoretiker Informationen über Gates verbreiteten, dass dieser mit Impfungen Mikrochips implantieren würde, reagierte Twitter, indem es diese Inhalte niedriger reihte und Fakt-Check Meldungen ergänzte. Würde das unter Musk auch passieren? 

Dieser hat das Virus immer wieder runtergespielt, sich gegen Vorschriften zu Lockdowns ausgesprochen und skeptisch gegenüber der Sicherheit der Impfungen geäußert. In einem Tweet sprach er sich sogar für die kanadischen Trucker aus, die wochenlang gegen die dortige Coronapolitik protestierten. 

Der WHO-Experte Mike Ryan warnte nun schon vor den Gefahren, die eine solche Übernahme für Informationen rund um Impfungen und Gesundheit bedeuten könnte: "Während einer Pandemie sind gute Informationen Lebensretter."

Und noch ein Beispiel: 

Musk hat in der Vergangenheit auch gezeigt, dass es ihm beim Thema Klimakrise an Verständnis fehlt. Nicht nur, weil er die Raumfahrt tourismustauglich machen will (ein Raketenstart katapultiert 300 Tonnen CO2 in die obere Atmosphäre, wo dieses für Jahre bleiben kann; 2020 verursachten die 114 Weltall-Missionen so viele Emissionen wie die täglichen 100.000 Passagierflüge). Er ist ein Mann, der in der Klimakrise auf technologische Lösungen setzt, die bisher noch nicht sehr vielversprechend sind. Er glaubt wohl außerdem, dass die Zukunft der Menschheit auf anderen Planeten liegt. Immerhin twitterte er, dass er unsere Spezies "multiplanetär" machen wolle. Das brauche es, um das Leben auf der Welt zu bewahren. 

Er sagt quasi: "Vergessen wir diesen Planeten! Verhalten wir uns unvernünftig! Da draußen wird es schon irgendetwas geben!" Dass die mittlere Temperatur des Mars bei etwa minus 63 Grad Celsius liegt, klammert er wohl aus. 

Und was passiert, wenn eine SpaceX Mission mal tödlich endet? fragt sich The Atlantic Journalist Marina Koren. Was passiert dann mit den Tweets von Leuten, die dem auf den Grund gehen wollen? 

Der Klimaforscher Peter Kalmus hat nun übrigens einen TikTok-Account erstellt.

Ihre Katharina Kropshofer


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