Schmusen oder nicht schmusen - FALTER.maily #827

Gerhard Stöger
Versendet am 11.06.2022

Wie halten Sie es mit dem Schmusen im Freibad? Ja, nein, vielleicht? Ich bin eindeutig Team "Zurückhaltung", aus ästhetischen Gründen. Freibad-Geknutsche berührt mich als unfreiwilligen Beobachter seit jeher unangenehm, ebenso der oft mit massiver Geräuschentwicklung verbundene Austausch von Speichelflüssigkeit in öffentlichen Verkehrsmitteln.

Matteo Haitzmann hat andere Gründe, im Freibad und auch sonst im öffentlichen Raum Abstand zu halten. Der 31-jährige Salzburger arbeitet als Performer und Musiker; als Geiger ist er in der klassischen Musik ebenso daheim wie ihm Jazz. Mit seinem Solodebüt "Those We Lost" hat er sich kürzlich auch erfolgreich in den Bereich Avantgarde-Pop vorgewagt.

Berührend würdigt dieses Konzeptalbum die internationalen Aids-Aktivist*innen der 1980er- und 1990er-Jahre, die damals Aufklärungsarbeit leisteten und gegen Ignoranz und Vorurteile kämpften. Zum Thema kam der Künstler durch seine sexuelle Identität: Er ist schwul. Sein Unbehagen bei öffentlichem Zärtlichkeitsaustausch liegt vor allem in der Angst vor unangenehmen Reaktionen begründet, wie er im Interview erzählte.

Nicht heterosexuell zu sein wäre auch im vergleichsweise aufgeklärten und liberalen Österreich des Jahres 2022 noch politisch aufgeladen, meint der Musiker: "Vom Kopf her ist es im urbanen Bereich zumindest teilweise angekommen. Schlendere ich mit meinem Freund in Wien Hand in Hand die Straße entlang, geht ein Teil von mir trotzdem immer davon aus, dass ich einen blöden Kommentar zu hören – und das passiert auch regelmäßig."

Gestern vor einer Woche versuchte ein mehr schlecht als recht als strammer Intellektuellentrupp getarnter Haufen Rechtsradikaler mit Social-Media-Kompetenz die Kinderbuchlesung einer Wiener Dragqueen zu verhindern. "#Nopridemonth" lautete, konträr zum Regenbogenmonat Juni, die widerwärtige Botschaft dazu.

Als ich davon hörte, musste ich wieder an Matteo Haitzmanns Erzählungen denken, wie schwierig seine Kindheit und Jugend ohne Role Models im Dorf war und wie wichtig es ihm heute sei, gerade auch Jugendlichen außerhalb des urbanen Raums in politisch-künstlerischen Workshops gewisse Botschaften zu vermitteln. "Du bist nicht allein" etwa und "nicht jeder Mensch wird heterosexuell und mit fix festgelegter geschlechtlicher Identität als Mann oder Frau geboren, bitte komm damit klar."

Heute findet die 26. Wiener Regenbogenparade statt. Die Großveranstaltung rund um den Ring verbindet eine ausgelassene Party mit einer Demonstration für die Rechte aller nicht-heterosexuellen Menschen sowie all jener, die sich nicht eindeutig als Mann oder Frau definieren; sie startet um 13 Uhr auf dem Rathausplatz. Ihr Motto mag abgedroschen klingen, tatsächlich ist es dieser Tage leider aktuell wie schon lange nicht, im Großen wie im Kleinen: "Pride against hate – make love not war!"

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein buntes und verschmustes Wochenende.

Ihr Gerhard Stöger


Zum Hören

Die US-Punkband Pansy Division, 1991 in der Regenbogenstadt San Francisco gegründet, stand seit je her für schwules Selbstbewusstsein. Bisweilen verfasst sie auch humorvolle neue (Sex-)Texte zu bekannten Songs. Aus Nirvanas "Smells Like Teen Spirit" wurde 1992 etwa "Smells Like Queer Spirit", das berühmte Kanonen-Plattencover der Hardrocker AC/DC zum Album "For Those About To Rock" wiederum stellen Pansy Divison für eine Single unter dem Titel "For Those About To Suck Cock" nach.


Zum Schaün

Ein Film für die ganze Familie: "Pride" aus dem Jahr 2014 erzählt so kurzweilig wie ergreifend die Geschichte der Londoner Aktivist*innen-Gruppe Lesbians and Gays Support the Miners, die sich im Großbritannien des Jahres 1984 daran machte, für streikende Bergarbeiter Geld zu sammeln – und feststellen musste, dass diese Unterstützung zumindest anfangs keineswegs nur willkommen war.


Aus Dem Falter

In "Joy 2022" beschäftigt sich der belgische Choreograph und Tänzer Michiel Vandevelde mit dem Thema "Sex-Positivity". Das Stück feiert dieses Wochenende im Rahmen der Festwochen im Wiener Volkstheater seine Uraufführung. Theaterexpertin Sara Schausberger besuchte die Proben in München. Ihre Titelgeschichte in unserer Kultur- und Programmbeilage Falter:Woche trägt den sinnigen Titel "Let’s Dance about Sex".


Falter Natur

Im FALTER.natur-Newsletter berichtete Barbara Tóth gestern über ein Chalet-Dorf im Kärntner Nassfeld, das nun ein Fall fürs Gericht wird. Dabei ist es nur eines von vielen bedenklichen Bauvorhaben in der Alpenregion, die immer dem selben Schema folgen.

Kennen Sie ähnliche Fälle, die Ihnen bedenklich erscheinen? Dann schreiben Sie uns gerne ein E-Mail mit dem Betreff "Chalet-Dorf" an toth@falter.at, wir möchten uns dem Thema näher widmen.

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