Ein Schloss am Wörthersee - FALTER.maily #829

Matthias Dusini
Versendet am 13.06.2022

Die moralische Reinwaschung ihres 1987 verstorbenen Gatten hat Heidi Goëss-Horten noch erlebt. Das von ihr in Auftrag gegebene historische Gutachten arbeitete die Geschäfte auf, die Helmut Horten in der Nazizeit abgeschlossen hatte. Es ging dabei um Kaufhäuser, die der junge Unternehmer von jüdischen Eigentümern erwarb. Die private, laut Standard 300.000 Euro teure Recherche kam zu dem Ergebnis, dass Horten zwar an "Arisierungen" beteiligt war, dabei aber fair vorging. Seither macht die seltsame sprachliche Wendung "fair arisiert" die Runde.

Die im Alter von 81 Jahren verstorbene Heidi Horten, die nach der Hochzeit mit dem Ex-Piloten und Grafen Carl Anton Goëss im Jahr 2015 einen Doppelnamen trug, löste widersprüchliche Emotionen aus. Fans des österreichischen Eishockey-Rekordmeisters EC-KAC feiern sie als Gönnerin, die Millionen in einen Provinzclub steckte. Der ORF zeigte sie beim Besuch von Tierheimen, die ebenfalls großzügig unterstützt wurden. Das auf drei Milliarden Euro geschätzte Vermögen machten sie zur reichsten Österreicherin.

Außerdem gab es die Kunstsammlerin, die Anfang Juni in zentraler Wiener Lage ein Museum eröffnete. Rosige TV-Beiträge zeigen sie in ihrer Villa am Wörthersee, wo über Hundekorb und offenem Kamin Gemälde berühmter Maler wie Francis Bacon hingen. Die Werke wanderten in die architektonische Schmuckschatulle des Museums Horten Collection, dessen Bestehen testamentarisch gesichert sein dürfte. Dass sie nicht persönlich zur Feier erschien, deutet darauf hin, dass das Ende bereits nahte.

Nach dem gefälligen Gutachten gab es kaum kritische Stimmen. Goëss-Hortens Vermögen wurzelt in der Zeit vor 1945, auch wenn Helmut Horten nach 1945 das meiste verlor. Das in der NS-Zeit aufgebaute Netzwerk ermöglichte ihm den raschen Neustart, sodass er bereits 1948 das erste Kaufhaus eröffnen konnte. Zwanzig Jahre später, 1968, verkaufte er die Horten-Kette mit einem steuerrechtlichen Trick. Dem deutschen Fiskus entgingen dadurch 450 Millionen D-Mark (nach heutigem Wert fast eine Milliarde Euro), was Helmut Horten den Ruf eines Steuerflüchtlings eintrug. Damit so etwas nicht noch einmal passiert, beschloss die deutsche Regierung ein eigenes Gesetz, die Lex Horten.

Heidi Jelinek war da bereits an seiner Seite. Die Legende erzählt von einer romantischen Begegnung zwischen der kleinen Wiener Angestellten und dem Big Boss um 1960 am Wörthersee. Die Regenbogenpresse jubelte über neuen Stoff. Sie "blond, witzig und attraktiv", er "Tatmensch" – und 32 Jahre älter. Fotos zeigen sie in der modernistischen Düsseldorfer Villa, mit Flamingos im Garten und Deutschen Expressionisten im Salon. Er beschenkt sie mit Rolls Royce und dem berühmten Blauen Wittelsbacher, einem zu den bayrischen Kronjuwelen gehörenden Riesendiamanten. Sie unternehmen Ausflüge an die Côte d'Azur, standesgerecht in der Motoryacht "Carinthia". Dazu Privatjagd in der Steiermark und ein Schloss am Wörthersee.

Nach dem Tod ihres Gatten ging die Fête Blanche weiter. Man sah sie in Gesellschaft von Schlagersänger Udo Jürgens und von Schauspieler Otto Retzer, bekannt aus der TV-Serie "Schloss am Wörthersee". 1994 heiratete sie den französischen Blumenhändler Jean-Marc Charmat und wollte als Madame Charmat angeredet werden. Mit ihrer Nachbarin Ingrid Flick, ebenfalls Witwe mit Milliardenerbe, stritt sie über den Seezugang.

Auf den Reisen zu Immobilien in London und auf den Bahamas tauchte die spätere Belvedere-Direktorin Agnes-Husslein auf, die ihr beim Aufbau einer Kunstsammlung behilflich war. Die Akten aus dem Prozess mit einer Schweizer Firma dokumentieren den unverschämten Reichtum: im Privatjet eingeflogene Handwerker, ein Fitnessraum um 646.000 Euro, Flachbildschirme um 668.000 Euro.

Hinter der Lifestylefassade zeigten sich politisch Vorlieben. Goëss-Horten war mit dem rechtspopulistischen Politiker Jörg Haider (1950–2008) befreundet. 2019 geriet sie in den Spendensumpf der ÖVP, als bekannt wurde, dass sie 931.000 Euro in die Bewegung des damaligen ÖVP-Stars Sebastian Kurz gesteckt hatte. Goëss-Horten überwies in kleinen Tranchen, damit die Spenden nicht auffielen. Dem Ibiza-Untersuchungsausschuss im Juli 2020 blieb sie aus gesundheitlichen Gründen fern.

Nun wurden auch die Verneigungen des damaligen ÖVP-Kulturministers Gernot Blümel verständlich: Handkuss bei der Präsentation der Horten-Collection Anfang 2018 im Leopold Museum, Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst. Devote Verneigungen ließen die Macht des gigantischen Vermögens erahnen. Als Mäzenin und Philanthropin hofiert, war Goëss-Horten auch ein wenig Oligarchin. Am Sonntag in den frühen Morgenstunden ist Goëss-Horten in ihrem Haus am Wörthersee gestorben.

Ihr Matthias Dusini


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