Je suis SPÖ - FALTER.maily #1050
Bevor China die schlimmsten Seiten von Kommunismus und Kapitalismus zur Nationalphilosophie erhob, gab es dort einige interessante Denker. Huainanzi ...
Sie kennen das bestimmt: Man sitzt gemütlich zusammen, vielleicht bei einem Glas Wein, Knabbergebäck steht verführerisch auf dem Tisch. Die Gespräche kreisen um Inflation, Feminismus und die neuesten Bilder des James-Webb-Teleskops. Die Hand greift nach dem unwiderstehlichen "Hüftgold" und schiebt es in den Mund.
Gedanken schießen durch den Kopf, etwa: Was, wenn es doch Leben im All gibt? Sind Bakterien aus dem All gefährlich? Wie intelligent könnten fremde Lebensformen sein? Wird sich die Menschheit nach der Zerstörung unserer so sensiblen Erde aufmachen, um den nächsten Planeten auszubeuten? Wie wird das vor sich gehen? Mit Raketen oder mit Raumschiffen, die mit Warp-Geschwindigkeit die unendlichen Weiten überwinden? Wer wird diese betreiben? Gibt es dann noch genug Treibstoff für diese Raketen, oder existiert in der Zukunft eine andere Möglichkeit, ins Weltall zu kommen?
Es war während einer Vorstellung der Science Busters, ein Wissenschaftstrio damals noch mit den Physikern Heinz Oberhummer (1941–2015) und Werner Gruber gemeinsam mit dem Kabarettisten Martin Puntigam, im Wiener Rabenhoftheater. Oberhummer sprach in seiner unnachahmlich mitreißenden Art von einem waghalsigen und utopischen Projekt, mein Interesse war geweckt. Ich begann mich ernsthaft für diese "Science Fiction" zu interessieren. Damals war ich dabei, im zweiten Bildungsweg die Matura nachzuholen und beschloss, diesem Projekt die vorwissenschaftliche Arbeit im Fach Physik zu widmen.
Die Idee, in den Weltraum zu gelangen, hatte als Erster der russische Erfinder Konstantin Eduardowitsch Ziolkowski (1897–1935). Die Legende besagt, er überlegte beim Anblick des Pariser Eiffelturms, ob man nicht an einem viel höheren Turm hochklettern könnte, um diese weite Distanz zu überwinden. Vielleicht saß er später in einem der bezaubernden Pariser Straßencafés und kritzelte ein paar Formeln auf eine Serviette.
Ein Turm aus Stahl, so hoch, dass er ins Weltall ragt, wäre viel zu schwer, er würde allein durch sein Gewicht die Erdkruste durchbrechen. Ich stelle mir vor, Ziolkowki zerknüllt die Serviette und wirft sie in eine Ecke. Den Gedanken aber loszulassen war seine Sache nicht. Er überlegte vielleicht bei einer weiteren köstlichen Tasse Café au lait, wie denn diese große Distanz von, sagen wir etwa 100 Kilometer, anders zu überwinden wäre. Ein Aufzug! Heureka!
Ziolkowksi war aus ganzem Herzen Techniker, also verfolgte er diese Idee weiter. Der Weltraumlift müsste noch ungleich weiter draußen installiert werden: im geostationären Raum. Der befindet sich in etwa 36.000 Kilometer Höhe. Das ist die Umlaufbahn, auf der Satelliten die Erdkugel umkreisen, während es von der Erdoberfläche aus aber so wirkten, als stünden sie still.
Ziolkowksi konnte sich nicht vorstellen, wie man jemals diese Entfernung mit einem Bauwerk, einem Aufzug, überwinden könnte. Die nächste Serviette landet im Eck. Es war wieder ein russischer Wissenschafter, Yuri N. Artsutanov (1929–2019), der diese revolutionäre Idee in den 1960er-Jahren wieder aufgriff. Von einem Satelliten, der im geostationären Orbit die Erde umkreist, könnte man ein Seil auf die Erde hinunterlassen, auf dem dann Aufzugskabinen im Paternostersystem rauf und runter fahren. Gleichzeitig müsste man ein anderes Seil in den Weltraum ausbringen, damit der Satellit auch in dieser Umlaufbahn bleibt. Hat etwas mit Gravitation und Zentrifugalkraft zu tun.
Die Grundidee kann man sich so vorstellen: Eine Schnur, die man in der Hand hält, mit einem Ball am anderen Ende. Während man sich nun um die eigene Längsachse dreht, spannt sich die Schnur wie von selbst und der Ball kreist mit der gleichen Geschwindigkeit um einen herum, die Fliehkraft hält die Schnur gespannt.
Diese gespannte Schnur wäre als "Gleise" des Weltraumliftes zu denken, auf dem eine Kabine auf und ab fährt. Klingt einfach, ist es aber natürlich nicht. Diese Schnur ist nämlich der Haken an der Geschichte. Es gibt noch kein Material dafür. Ja, es wird natürlich geforscht und getestet, Kohlenstoffnanoröhrchen oder Graphen sind die derzeit besten Kandidaten, aber bis dieses sehr leichte, äußerst stabile, reiß- und zugfeste Seil auf einer Plattform am Äquator installiert werden kann, dürfte noch ein Zeiterl vergehen.
Eine Reise in den Orbit entlang des Aufzugseils würde etwa sieben Tage dauern und durch eine ziemlich unwirtliche und sehr, sehr kalte Gegend führen.
Lohnen würde es sich allemal: Klappt dieses Unterfangen, werden teure Raketenstarts obsolet. Es kann mehr Nutzlast wesentlich kostengünstiger in den Orbit transportiert werden, um dort etwa einen Weltraumbahnhof, eine Weltraumschrott-Recyclinganlage, ein Solarkraftwerk oder gar ein Hotel zu bauen. Die Grundlagenforschung genauso wie die angewandte Forschung würden profitieren.
Allerdings wären da noch die finanziellen und natürlich die politischen Fragen solch eines Space Elevators zu klären: Wer finanziert dieses Projekt, wer wird es bauen (können)? Wer darf den Aufzug dann benutzen, wer wird daran verdienen, wer darf den Weltraum erforschen, wem gehören die Erkenntnisse oder die Rohstoffe, die gefunden werden – auf Meteoriten, auf anderen Planeten?
Und was hat das alles mit der aktuellen, oft als Zeitenwende bezeichneten Situation von heute zu tun? Wohl nicht sehr viel, aber wenn Sie bis hierher gelesen haben, hatten Sie zumindest eine kurze Ablenkung von all dem Wahnsinn, der uns derzeit beschäftigt.
Ihre Lisa Kiss
Die Öffentlichkeit wurde in den Romanen "Fahrstuhl zu den Sternen (The Fountains of Paradise)" (1979) von Arthur C. Clark und "Ein Netz aus tausend Sternen / The Web between the Worlds" von Charles Scheffield (1979) auf die Idee eines Weltraumlifts aufmerksam.
Auch im Cyberpunk-Manga "Battle Angel Alita" von Yukito Kishiro (1991) kommt so ein Transportmittel in den Orbit vor. Und Alastair Reynolds beschreibt in seinem Science Fiction Roman "Chasm City" (2001) was passiert, wenn das Seil des Aufzugs reißt.
Die Wissenschaftsseite der aktuellen FALTER-Ausgabe beschäftigt sich mit den neuesten Erkenntnissen, die die Auswertung der ersten Bilder des James-Webb-Teleskops erbrachten. Spoiler: Die Atmosphäre des Gasriesen-Exoplanet WASO 96b enthält Vielversprechendes.
Morgen, Freitag, um 11 Uhr veröffentlicht der FALTER ein Interview mit dem anonymen Informanten, von dem die Daten der Panama Papers stammen. 2015 hat der Whistleblower den beiden Journalisten Bastian Obermayer und Frederik Obermaier 11,5 Millionen Dateien der Anwaltskanzlei Mossack Fonseca mit Sitz in Panama übermittelt. Die Dokumente mit einem Volumen von 2,6 Terabyte haben einen bis dahin ungeahnten Einblick in die globale Offshore-Industrie erlaubt. Das Interview mit dem Informanten, der weiterhin anonym bleibt, haben Bastian Obermayer und Frederik Obermaier für den Spiegel geführt und dem FALTER und anderen internationalen Medien, die an den Panama Papers-Recherchen beteiligt waren, zur Veröffentlichung überlassen. Die deutsche Fassung des Interviews finden Sie auf www.falter.at und www.spiegel.de
Wie will Brüssel gegensteuern, wenn die Klimakrise Europa endgültig einholt? Das haben Studierende der Universität für Bodenkultur in Wien den EU-Kommissar Frans Timmermans gefragt, im FALTER-Radio hören Sie seine Antworten.
FALTER.natur – der Nachhaltigkeits-Newsletter
Jeden Freitag in Ihrem Posteingang!
Natur-Ressortleiter Benedikt Narodoslawsky liefert im Newsletter einmal die Woche das Wichtigste zu den Themen Nachhaltigkeit, Umwelt, Natur und Landwirtschaft. Die Pflichtlektüre für Menschen in der Nachhaltigkeitsbranche und alle am Thema interessierten Leserinnen und Leser.
Hier kostenlos abonnieren!